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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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und Baustoff. Trostlos wie gestern auch.
    Doch so wenig einladend dieses Eckchen auch wirkte: Irgendjemandem musste das Gelände gehören, dem Stromversorger vermutlich. Wolfram musste einen Deal mit den Leuten haben.
    Der ausgetretene Trampelpfad. Undefinierbarer Gestank aus dem Graben. Zwanzig Meter über meinem Kopf eine Hochspannungsleitung.
    Das Wohnmobil stand unter einer Gruppe von Bäumen, die aussahen wie gerupft.
    Mit jedem Schritt wuchsen meine Zweifel, ob ich überhaupt wusste, was ich tat.
    Welchen Grund sollte Horst Wolfram haben, mit mir zu reden, wenn er selbst bei Jörg Albrecht stumm geblieben war? Bei unserem Herrn und Meister, der in dieser Hinsicht tatsächlich ein Meister war, binnen Sekunden erfassen konnte, wie er einen Zeugen anfassen musste, um ihn zum Reden zu bringen. Indem er die richtigen Fragen stellte, mal verständnisvoll und geduldig, mal in einem gewissen beiläufigen Ton, als ob er die Antwort ohnehin schon wüsste. In einem von hundert Fällen mit sorgfältig dosiertem Druck.
    Bei Wolfram hatte diese Methode versagt.
    Vor der Tür des Blechkastens blieb ich stehen.
    Die Vorhänge waren geschlossen. Kein Lebenszeichen, nicht anders als vor vierundzwanzig Stunden auch – bis aus dem Innern der unmenschliche Laut ertönt war.
    «Irmtraud?»
    Mein Herz machte einen Sprung.
    Ich hatte noch nicht mal die Hand gehoben, um zu klopfen.
    Die Stimme klang heiser, gleichzeitig unnatürlich hoch wie bei einem sehr, sehr alten Mann.
    Ich holte Luft. «Herr Wolfram? Hier ist Hannah Friedrichs. Ich war gestern schon einmal hier – zusammen mit Irmtraud.» Die letzten Worte betonte ich.
    Ich biss mir auf die Lippen. Es war ein Fehler gewesen, nicht zuerst zum Revier zu fahren und die Sekretärin einzuweihen. Das seltsame Gefühl, dass es auf jede Sekunde ankam: Während ich mich durch den Verkehr gekämpft hatte, war es stärker und stärker geworden, doch jetzt war es verschwunden.
    Schweigen hinter der Blechwand.
    «Herr Wolfram? Bitte, ich muss mit Ihnen reden!»
    Menschenleben stehen auf dem Spiel.
    Mir war klar, dass ich das Wolfram nicht sagen musste. Dieser Mann war schon Kriminalpolizist gewesen, als ich noch nicht mal auf der Welt war.
    Er wird nicht antworten.
    Schweigen.
    Dann ein Geräusch wie ein Ächzen. Dumpfe Laute im Innern. Schritte.
    «Waren Sie vor einer halben Stunde schon mal hier?»
    Die Stimme klang deutlicher. Viel, viel näher. Er stand direkt hinter der Tür.
    Mein Herzschlag beschleunigte.
    «Ich bin eben erst angekommen», erklärte ich. «Aber zwei meiner Kollegen …»
    «Nein.» Pause. «Die steigen nicht aus.»
    Ich biss die Zähne zusammen. Noch ein Verstoß gegen Albrechts Anordnungen. Selbst wenn die beiden nicht zwischendurch verschwunden wären, um sich Fritten zu holen: Der Täter hätte in aller Ruhe über den Hauptdeich spazieren und Wolfram umbringen können.
    Und kein Mensch hätte etwas mitgekriegt.
    «Herr Wolfram, da ist etwas, das ich unbedingt wissen …»
    «Es war jemand hier.»
    Ich verstummte auf der Stelle.
    «Vor ungefähr einer halben Stunde. – Ich dachte, ich hätte Irmtrauds Stimme gehört.»
    «Gesehen haben Sie niemanden?»
    Schweigen.
    Sekundenlang.
    Dann …
    «Sie waren hinter den Bäumen. Es ist … zu hell. Ich kann nicht hinausgehen.»
    Der Ton allein schnürte mir die Brust zusammen. Ein Kind … ein uralter Mann … von beidem etwas. Etwas Hilfloses, ganz Kleines.
    Max Freiligrath, ich hasse dich! Ich hasse dich, wie ich in meinem ganzen Leben noch keinen Menschen gehasst habe!
    Der Traumfänger hatte diesen Mann vernichtet. Auf eine Weise vernichtet, dass der Tod das gnädigere Schicksal gewesen wäre.
    «Wann …» Die Stimme, wenn überhaupt möglich, war noch schwächer, noch unsicherer geworden. «Wann haben Sie Irmtraud zuletzt gesehen?»
    Wann …
    Eine Faust aus Eis schloss sich um mein Herz.
    ***
    «Ein Täter, der seine Opfer unter den Beteiligten einer zurückliegenden polizeilichen Ermittlung auswählt.» Maximilian Freiligrath hatte die Beine übereinandergeschlagen und legte die Handflächen ineinander. «Der diese Opfer unter möglichst angsteinflößenden Umständen zu Tode bringt – vor den Augen der Ermittler.»
    «Vor den Augen des Fernsehpublikums», knurrte Albrecht. «Solange die Zecke im Spiel war.»
    «Der Aspekt der Öffentlichkeit ist Ihnen demnach aufgefallen.» Der Psychologe schien zu sich selbst zu murmeln.
    Der Hauptkommissar nickte knapp. «Mir ist aufgefallen, dass er sich von Ih…

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