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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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getan hat?
    Die erloschenen Augen lagen auf mir. Unerträglich. Als könnten sie jeden einzelnen meiner Gedanken verfolgen. Wie ähnlich musste dieser Mann Jörg Albrecht einmal gewesen sein?
    «Sterben wäre so einfach gewesen», flüsterte er. «Viel zu leicht.»
    Ich konnte nur nicken. Jedes Wort war die Wahrheit. Er bestrafte sich selbst, bestrafte sich für den Tod seines Kindes, seiner Frau, sein eigenes, vergeudetes Leben.
    «Wa…» Ich schluckte. «Warum hier? Warum haben Sie sich hier …»
    «Versteckt?» Sein Lachen war das gruseligste Geräusch, das ich in meinem Leben gehört hatte.
    «Weil es hässlich ist!», zischte er. «Wenn sie ein Grab bekommen hätte, wäre ich vielleicht dort … Wenn ich einen Ort gehabt hätte …» Seine Pupillen zitterten. «Doch es gibt nur die See. Und man kann zu weit sehen an der See.»
    Verstand ich ihn?
    Mir gefiel ganz und gar nicht,
wie gut
ich ihn verstand.
    Er versteckte sich, hier in diesem öden, stinkenden Winkel. Ganz weit weg, ganz weit draußen und doch mittendrin, umgeben von Menschen.
    Verborgen im sicheren Schutz seiner Höhle und doch jeden Augenblick bereit zur Flucht.
    Jetzt aber war die Flucht zu Ende.
    «Er will
mich
», wiederholte Wolfram mit rauer Stimme. «Ich habe verfolgt, wie diese Menschen gestorben sind. Eine Botschaft – an mich. Ich habe verfolgt, wie er näher und näher kam. Und nun hat er Irmtraud. Und ich verstehe auch diese Botschaft: Es hat mich zerrissen, die anderen sterben zu sehen. Ich wusste, dass ich es beenden kann, jederzeit, wenn ich nur zu ihm komme. Doch ich bin nicht gekommen. Ich
konnte
nicht. Doch nun, nun hat er Irmtraud, und er weiß, dass sie die letzte Waffe ist, mit der er mich noch verletzen kann. Er weiß …»
    Seine Stimme brach. Der Rest war ein Krächzen.
    «Er weiß, dass ich kommen werde, sobald er nach mir ruft.»
    Ich schluckte.
    Vierundzwanzig Jahre lang hatte Stillstand geherrscht.
    Geröll, das ineinander verkeilt am Rande des Abgrunds zu liegen gekommen ist, Zentimeter entfernt vom Sturz in die Tiefe, der alles unter sich begraben wird.
    Nichts bewegt sich. Jahrelang.
    Doch dann: die Schockwelle der Morde.
    Wenn sich die Steine lösen, in Bewegung geraten, hält nichts mehr die Lawine auf.
    Wir sahen uns an, dieser kleine graue Mann, der sich wie ein Ertrinkender an den Ausstieg seines Wohnmobils klammerte, und ich.
    Es gab nichts mehr zu sagen. Nicht in diesem Moment.
    Ich schloss die Augen. Ich spürte es, spürte, dass es jeden Augenblick …
    Standing on a beach …
    Mein Klingelton war ein Schock, trotz allem.
    «Ja.»
    «Hannah, entschuldigen Sie, dass ich mich jetzt erst melde! Hier geschehen Dinge …»
    «Er will Wolfram», sagte ich ruhig.
    Jörg Albrecht mit einem einzigen Satz stumm zu machen, war praktisch unmöglich.
    Doch ich fühlte keinen Triumph.
    Ich fühlte das genaue Gegenteil.
    ***
    Wieder ein Café, das Bergcafé diesmal, oberhalb der Klinikanlage von Königslutter.
    Jörg Albrecht presste das Mobiltelefon gegen sein Ohr. Maja Werden saß ihm gegenüber und betrachtete ihn unverwandt.
    «Ja», murmelte er ins Handy. «Er will Wolfram. Aber woher wissen
Sie
 …»
    Hannah Friedrichs erzählte es ihm, und ein kleiner, abgekoppelter Teil seines Verstandes verfolgte aufmerksam, wie sich sein Körper unter ihren Worten zu Stein verwandelte.
    Irmtraud Wegner war in den Händen ihres Täters.
    Der Hauptkommissar wartete ab, bis Friedrichs schwieg, dann holte er tief Luft – und begann selbst zu erzählen.
    Alles. So ziemlich.
    Die Erlebnisse der Spinnenbande ließ er weg.
    Es genügte, dass er Maximilian Freiligrath von ihnen erzählt hatte.
    Doch der Rest …
    Sie glauben, Horst Wolfram würde herkommen? Niemals!
Seine eigenen, mühsam hervorgestoßenen Worte.
    Und Freiligraths Replik:
Wir werden sehen. Vielleicht werden wir ja positiv überrascht?
    «Welch eine Überraschung», murmelte Albrecht. «Aber nicht für Maximilian Freiligrath.
    Welch eine Leistung, mir den nachdenklichen Sachverständigen vorzuspielen, den begnadeten Analytiker, wenn er in Wahrheit
weiß
, wie sich die Dinge verhalten und was als Nächstes geschehen wird! Wenn er sie kennt», murmelte er. «Die Position der Objekte im Raum der Ermittlung. Wieder beweist er es uns, wie er es schon mit Neverding bewiesen hat. Mit Euler, der in den Überresten des Leichnams stochert und doch nichts finden wird, das uns helfen kann.»
    «Ich habe Euler vom Tatort im Sachsenwald abgezogen», kam es aus dem Telefon.

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