Ich bin der Herr deiner Angst
Rechte, und auch dem schlaksigen Kommissar musste längst klar sein, dass er keine Möglichkeit hatte, den Anwalt festzuhalten.
Schließlich hatte sich Merz nichts zuschulden kommen lassen.
Weit mehr als aus seinen Worten hatte ich das aus seinem Blick begriffen. Aus der Art, wie er mich angesehen hatte.
Er war meinetwegen gekommen, einzig und allein. Er hatte sich entschuldigen wollen. Das Video … Natürlich hatte er mit den Videos zu tun, mit der Aufnahme aus dem Park in Braunschweig genauso wie mit den heimlichen Filmereien im
Fleurs du Mal
. Und doch ging weder das eine noch das andere auf sein Konto. Er selbst war erpresst worden. Die Chefin des Schuppens hatte ihn zwingen wollen, über mich an Informationen zu kommen.
Wir hatten es gewusst, von Anfang an. Deshalb hatte der Chef schon Ole Hartung ins
Fleurs du Mal
geschickt: weil dort Erpressungen liefen. Doch unsere Mordserie …
Sie hatte nichts damit zu tun.
Joachim war nicht unser Täter. Kein Stück.
Woher er gewusst hatte, wo ich mich aufhielt: die einfachste Sache der Welt – ein Anruf auf dem Revier.
Den echten Täter hatten wir mit unserer Scheinwerferaktion verscheucht.
Wobei der eigentliche Grund vor mir auf einer Parkbank saß, ein Häuflein Elend. Cornelius hatte einiges gut bei mir, dass er dieses Häuflein fürs Erste mir überlassen hatte.
«Was hast du dir nur dabei gedacht?», murmelte ich.
«Was glaubst du denn …
Autsch!
»
Er hatte den Fehler gemacht, den Kopf zu drehen, während ich mit einer Sicherheitsnadel hantierte, um die Bandage festzustecken.
«Lass mich raten», seufzte ich. «Du wolltest mit mir reden?»
«Da war ich nicht der Einzige, was?» Er sah zu mir hoch, mit vorgeschobener Unterlippe. Trotzig, wie ein sehr, sehr großes kleines Kind. Gleichzeitig sah er einem Piraten ähnlicher denn je mit seinen Kriegsverletzungen.
Ich breitete die Arme aus. «Dennis … Was soll ich sagen?»
«Du liebst ihn?» Er senkte den Blick. «Du willst mich verlassen?»
Mir war schwindlig. War das derselbe Mann, der
in Ruhe
mit mir hatte reden wollen, zu Hause in Seevetal?
«Dennis, ich weiß wirklich nicht … Ich … Nein, ich denke nicht, aber …» Einatmen. Ausatmen. «Dennis, es geht doch so nicht weiter! Wir beide machen uns doch was vor. Ob es jetzt Merz ist oder … die Gunthermann oder …»
«Iris?» Er kniff die Augen zusammen. «Was hat die damit zu tun?»
«Oder die Blondine mit den dicken Möpsen!», knurrte ich. «Oder sonst wer!»
«Blondine?» Er starrte mich an. Fassungslos.
Eine Fassungslosigkeit, die kein Mensch spielen konnte.
«Der …» Auf einmal hatte ich ein sehr, sehr merkwürdiges Gefühl im Magen. «Der rote Sportwagen», sagte ich. «Ich habe neben euch an der Ampel gestanden. In Bahrenfeld.»
«Was?»
Er schüttelte sich. «Wann?»
«Elfter Mai.» Die Antwort kam automatisch. «Vor zwei Jahren. Mittags, zehn nach eins.»
«Du …» Wie lange kannten wir uns? Siebeneinhalb Jahre. Einen solchen Gesichtsausdruck hatte ich noch nie zu sehen bekommen. «Frau Verhoorn», murmelte er. «Sie hat das Penthouse in Eimsbüttel gekauft, das wir drei Monate lang nicht loswerden konnten. Ich hatte noch nie in einem Ferrari gesessen, also hat sie mich eingeladen. – Du denkst, ich hatte was mit …» Wieder dieses verständnislose Schütteln, das durch seinen gesamten Körper ging. «Selbst wenn ich jemals auf die
Idee
gekommen wäre! Die Frau ist erstens verheiratet und zweitens fünfzehn Jahre jünger als ich! Was denkst du denn, was ich …»
Ich war erstarrt. Zu keiner Bewegung fähig.
Konnte ihn nur anstarren, während ich spürte, wie sich etwas in mir regte.
Du kannst nie wieder in den Spiegel gucken.
Nie. Wieder.
«Hannah …» Mühsam stütze er sich auf die Lehne der Parkbank und stand auf. Er verzog das Gesicht. «Hannah, du denkst, ich hätte was mit irgendwelchen Weibern? Lies es von meinen Lippen:
Ich – liebe – dich!
Sonst nichts. Sonst niemanden. Ich weiß, ich stecke viel zu viel Zeit in den Job, aber diese Agentur – wir haben uns das aufgebaut, Gunthermann und ich. Und im Moment ist es verdammt schwierig, solche teuren Immobilien loszuschlagen. Aber ich würd doch nie …
nie
…»
Er streckte die Hand nach mir aus.
Ich wollte sie beiseiteschlagen, weil ich …
Weil es einen Punkt gibt, an dem man sich einfach selbst nicht mehr erträgt.
«Hannah», murmelte er und zog mich an sich.
Ich wusste, dass Cornelius nur ein paar Schritte entfernt
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