Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
aus nacktem Beton, über den die Feuchtigkeit sickerte.
    «Der große Vorteil von Rettungsplänen ist ihre Flexibilität», bemerkte der Traumfänger. «Im selben Moment, in dem Frau Werden den Alarm aktiviert hat, hat sich diese Pforte geöffnet. – Riechen Sie ihn? Den Atem der Freiheit?»
    «Keine Ahnung», brummte Albrecht. «Muss mich erkältet haben. Meine Nase ist dicht.»
    Der Gang war eben breit genug, dass die Gefangenen nebeneinander gehen konnten. Freiligrath vorweg, Maja mit ihrer Waffe hinter ihnen.
    Wolframs Wunde hörte nicht auf zu bluten. Der Hauptkommissar wusste, dass im Kopfbereich auch harmlose Platzwunden erheblich bluten konnten. Doch bei einem Menschen in einem solchen Allgemeinzustand war
keine
Wunde harmlos.
    Das Rauschen, Tosen, Pulsieren des Wassers war allgegenwärtig. Im Boden, in den Wänden. In der Decke über ihnen.
    Im Innern der Flut, dachte Jörg Albrecht. Und der Sog trägt uns auf die Staumauer zu.
    Doch sie würden sie nicht erreichen.
    Mechanisch machte der ältere Mann jeden Schritt Albrechts mit, doch der Hauptkommissar spürte, dass er mit jedem Meter schwächer wurde.
    Wir werden es nicht schaffen, dachte er. Ganz gleich, wo sie mit uns hinwollen.
    Wir werden es nicht schaffen.
    ***
    «Bitte … Bitte! Frau Bergheim!»
    Es herrschte Chaos auf allen Seiten.
    Dr. Seidels Backenbart zitterte. Sein Blick hatte sich an einer einzelnen Patientin festgesogen, die einen halbherzigen Versuch machte, sich vom Tumult fernzuhalten, der auf den Fluren losgebrochen war. Ich glaubte die alte Dame wiederzuerkennen, die wir am ersten Tag im Fernsehraum gesehen hatten.
    «Feuer! Feuer! Feuer! Feuer!»
    Ihre Lippen standen nicht still, ihr Blick war gehetzt, ging hierhin, dorthin.
    Roh wurde sie von anderen Patienten angerempelt, die sie beiseitedrängten, auf uns zustürmten, alle mit demselben panischen Ausdruck in den weit aufgerissenen Augen, dem geflüsterten, gezischten, gebrüllten Wort:
«Feuer!»
    … bis sie gegen die Mauer des niedersächsischen Eingreiftrupps prallten, der langsam, viel zu langsam den Flur hinab vordrang. Seidel und ich waren ihm mehr als zwanzig Schritte voraus.
    «Ganz ruhig, Frau Bergheim!» Beschwörend fixierte der Mediziner die Frau. «Ganz ruhig! Es ist alles in Ordnung.»
    Mit halb ausgebreiteten Armen kam er näher.
    Interessante Taktik.
    Könnte sogar klappen, dachte ich. Wenn sie ein Pferd oder eine Kuh wäre.
    Doch ich wäre ihm dankbar gewesen, wenn er sich an einen der kräftigeren Patienten gehalten hätte.
    Ein vierschrötiger Kerl in Bomberjacke nahm gerade zum dritten oder vierten Mal Anlauf gegen Yawuz Cornelius. Bis zu diesem Moment ohne Erfolg.
    Wir kommen zu spät!
    Der Gedanke hämmerte durch meinen Kopf, kein echter Gedanke in Wahrheit. Keine Zeit, keine Luft für echte Gedanken.
    Freiligrath.
    Der merkwürdige Tick, den sämtliche Patienten in Sachen Feuer und Feuerwehr zu haben schienen. Ich hatte auf der Stelle begriffen, was hier vorging und warum.
    Um uns vom Keller fernzuhalten.
    Eine neue, letzte Teufelei des Traumfängers, effektiv wie all seine Spielchen.
    Was ging in diesen Augenblicken im Keller vor? Bilder schossen durch mein Hirn, eins schlimmer als das andere.
    Die beiden Täter in einem Raum versammelt: Freiligrath, der seine Opfer an ihrer eigenen Angst zugrunde gehen ließ, und Maja Werden, unsere Mörderin.
    Und die beiden Beamten, die mit vierundzwanzig Jahren Abstand die Ermittlungen geleitet hatten.
    Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, darüber nachzugrübeln, was genau das alles miteinander zu tun hatte.
    Was ich wusste – spürte –, war, dass die Zeit ablief.
    Dass wir es nicht schaffen würden, weil die Beamten unmöglich mit Gewalt gegen die Insassen der Psychiatrie vorgehen, geschweige denn einen Schuss abfeuern konnten – und sei es nur zur Warnung.
    Seidel war noch immer mit der alten Frau beschäftigt. Weiter hinten im Gang konnte ich eine Reihe pastellfarbener Kittel ausmachen, die bei anderen Patienten ähnliche Manöver versuchten, mit ähnlichem Erfolg.
    Und noch weiter hinten eine schattenhafte Öffnung, die vom Hauptkorridor abzuzweigen schien. Der Kellerabgang.
    Unerreichbar
    Ich biss die Zähne zusammen.
    Ein Blick über die Schulter.
    Keine Chance, mich mit Cornelius zu verständigen.
    Warum auch immer es Seidel und mir leichter fiel, uns gegen den Strom durch den panischen Haufen der Patienten zu drängen – vielleicht, weil der Traumfänger ihnen obendrein noch einen besonderen Hass

Weitere Kostenlose Bücher