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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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seiner Anzugjacke. Glück gehabt. Er roch nicht halb so schlimm, wie er aussah.
    «Wohl von beidem etwas», murmelte er.
    Doch in Wahrheit gab es weder Sieg noch Niederlage, und auch ein Unentschieden war nicht die richtige Kategorie.
    Es war kein Spiel gewesen. Eher ein Justizakt. Begnadigung, Bewährung. Wie man das nennen wollte.
    Die Lorentz ließ ihn gewähren, warum auch immer sie das tat. Vielleicht weil sie ein Bauernopfer in der Hinterhand behalten wollte?
    Ein Bauernopfer.
    Nur ganz kurz dachte er an Heiner Schultz.
    War es möglich, dass Schultz …
    Doch im Stillen schüttelte Albrecht den Kopf. An der Loyalität des alten Mannes hegte er keinen Zweifel. Aber diese Loyalität zeigte sich auf andere Weise: in brutalst offener Kritik in der Regel.
    Mauscheleien hinter den Kulissen waren nicht die Art und Weise, in der Schultz sich für ihn einsetzen würde.
    Und im Übrigen wuchsen Jörg Albrechts Zweifel minütlich, ob er überhaupt Grund zur Freude hatte.
    Er hatte aufgeatmet – und doch das Wichtigste übersehen.
    Es bleibt mein Fall, dachte er. Und doch nicht meiner.
    Professor Doktor Hartmut Möllhaus. Ein
Experte
. Ein Seelenklempner. Kein praktizierender, keiner mit Sprechstundenzeiten und Ruhesofa, dem modernen Nachfolger des mittelalterlichen Beichtstuhls. Doch was änderte das?
    Albrecht würde mit dem Mann zusammenarbeiten müssen.
    Und
das
änderte alles.
    Jörg Albrecht wollte niemanden, der ihn
unterstützte
.
    Niemanden, der den Erlenast zu ihm runterzog, damit er den Sprung auf den Baumstamm schaffte.
    Unberechenbare Dinge konnten geschehen, wenn sich die Liane nicht vollständig unter seiner und ausschließlich seiner Kontrolle befand.
    Er brauchte das ganze Bild. Das ganze, klare, leere Bild. Zu wissen, dass er nichts wusste am Anfang. Die Leere, in der er die Umstände und Versatzstücke der Ermittlung hin und her schieben konnte, um zwischen ihnen die Verbindungslinien zu ziehen.
    Er war sich nicht sicher, ob er so arbeiten konnte, angeleitet von einem psychologischen Blindenhund. Gerade in diesem Fall, in dem die Fäden von allen Seiten auf ihn zuzulaufen schienen.
    Gefangen, dachte er. Gefangen im Netz der Spinne.
    Jörg Albrecht hatte nie besondere Angst vor Spinnen gehabt. Doch aus dieser Perspektive hatte er sie noch nie betrachtet.
    Ein schriller Klingelton riss ihn aus seinen Gedanken.
    Sekunden später flogen die massigen Flügeltüren des Gebäudes auf, und die ersten Schüler stürmten ins Freie, schubsten, drängelten, sprangen umeinander wie mutwillige Jungtiere.
    So jung, dachte er. So schrecklich, hilflos, verzweifelt jung.
    Sie schien zu leuchten, als sie zwischen zwei Freundinnen aus der Tür kam. Ja, für ihn leuchtete sie.
    Und es versetzte ihm einen Stich, wie ähnlich sie Joanna war.
    Noch hatte Clara ihn nicht gesehen. Es war eine Weile her, dass er seine Tochter außer der Reihe von der Schule abgeholt hatte.
    Jörg Albrecht genoss diese letzten unschuldigen Augenblicke, ehe sie ihn entdeckte.
    Er hatte Isolde Lorentz’ Angebot akzeptiert. Unberechenbare Dinge konnten geschehen.
    Jetzt hob Albrecht die Hand und winkte seiner Tochter zu, sah den überraschten Ausdruck auf ihrem Gesicht, dann das Grinsen, als sie die Stufen zu ihm hinunterstürmte.
    «Hey, Paps!»
    «Hallo, Prinzessin.»
    Es konnte das letzte Mal sein.
    ***
    Oliver hielt sich im Hintergrund, als ich mich zu Raoul auf den Teppich setzte.
    An die zehn Minuten hatten wir hinter dem Haus gestanden und einfach nur geheult, bevor wir uns die Tränen so gut wie möglich aus den Augen gewischt hatten. Genau wie die alte Nachbarin, die sich nun gerade verabschiedet hatte.
    Dennis musste gesehen haben, wie sie das Haus verließ, wenn er immer noch in der Laube saß. Vorausgesetzt, er war nicht zu sehr in die Pläne dieses Objekts in Bergedorf versunken.
    Oliver und ich waren durch die Terrassentür reingekommen. Uns hatte er jedenfalls nicht gesehen.
    Kerstins Witwer war selbstredend aus allen Wolken gefallen, als ich ihn wegen eines Rentners im Rollstuhl angesprochen hatte.
    Blieb nur der Junge.
    «Hallo, Raoul!»
    Der Kleine sah kurz auf. «Hallo!»
    Schon war er wieder bei seiner Holzeisenbahn, ließ sie auf imaginären Gleisen ein Stück nach links fahren, dann auf seinen Vater zu, bremste aber ab, bevor er Olivers Füße erreichte. Er hielt Abstand.
    Oliver hatte ihm heute Morgen erzählt, dass seine Mutter nicht wiederkommen würde. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass das Kind das wirklich

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