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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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Aufregung wirkt er beinahe ungeschickt. Mein ganzer Körper löst sich auf. Mein Magen ist ein Abgrund.
    Von einem Baumstumpf aus besteigt er das Pferd. »Kommst du?«, fragt er mich.
    LXXVIII
    In der Ferne knallen Schüsse.
    Er kann dich retten, wenn er es will. Falls du noch nicht tot bist.
    Das hier wird mein Scheiterhaufen, mein heiliges Opfer.
    LXXIX
    Ich sitze hinter ihm im Sattel. Sein ungewaschener Körper drückt sich an mich. Ich muss beinahe würgen.
    Er lenkt das Pferd nicht zu der Klamm, die doch der einzige mir bekannte Ausgang aus diesem Tal ist. Stattdessen geht es durch den dichten Wald zu einer nördlich gelegenen Steilwand aus Schiefer. Vielleicht könnte ein junger Mann hier hochklettern, aber sicher kein Tier. Doch das Pferd arbeitet sich nach oben und zieht den kleinen Karren auf einem kaum sichtbaren Pfad hinter sich her. Vor Entsetzen schließe ich die Augen. Aber das Pferd ist so geschickt wie eine Bergziege.
    Auf einmal fällt es in Trab. Ich öffne die Augen. Wir haben es geschafft. Was für ein unglaubliches Tier!
    Wir sind nur eine halbe Meile vom Fluss entfernt und doch ist die Gefahr groß, dass wir zu spät kommen. Noch hören wir Schüsse. Geräusche, die ich gefürchtet hatte, spenden jetzt Hoffnung. Noch seid ihr nicht besiegt. Vielleicht sind doch weitere Reiter gekommen. Bei jedem Schuss stelle ich mir den Kampf vor. Erst sehe ich Darrels Gesicht, dann Mutter, die sich um die Verwundeten kümmert. Bitte nicht du, bete ich, zu welchem Gott auch immer.
    LXXX
    Ich will fort von diesem schrecklichen Sattel und dem schrecklichen Handel, auf den ich mich eingelassen habe.
    Irgendjemand, irgendetwas soll mich von hier fort bringen. Ein Stolpern des Pferdes möge mich erlösen.
    Nein. Ich bin froh, in den Kampf zu ziehen. Ich brauche vor nichts Angst zu haben – außer vor der Rückkehr.
    LXXXI
    Früher war ich mit Abigail Pawling, der Tochter des Gerbers, befreundet. Wie ich war auch sie ein stilles Mädchen. Wir spielten gern mit unseren Puppen. Einmal habe ich ein Kleid und ein Mützchen für ihre Puppe genäht.
    Kurz nach meiner Rückkehr wollte ich sie wiedersehen. Ich dachte, sie könnte meine erbärmlichen Laute ertragen und um unserer Freundschaft willen versuchen, mich zu verstehen.
    Sie hütete die Schafe auf der Weide ihres Vaters. Wir starrten einander an und konnten kaum fassen, wie die Jahre uns beide verändert hatten. Sie war weiblicher und molliger geworden. Ihr Blick verriet den Wunsch, mich nicht wiederzuerkennen.
    Ich sagte ihren Namen, so gut ich konnte. Entsetzt zuckte sie zurück.
    Ich bin es, versuchte ich zu sagen. Ich bin nur verletzt, das ist alles.
    Sie rannte fort und überließ die Schafe ihrem Schicksal.
    Ich ging nach Hause und wartete darauf, dass sich der Zorn meiner Mutter über mich ergießen würde. Aber Abigail hatte wohl nicht gewagt, ihren Eltern zu erzählen, dass das verfluchte Mädchen versucht hatte, mit ihr zu sprechen.
    Ich habe Abigail nie wieder gesehen. Im nächsten Winter starb sie am Fieber.
    LXXXII
    »Hier ist ein guter Platz«, sagt er.
    Er hält den Karren an und gibt mir einen Stoß mit dem Ellbogen. Wir steigen ab. Der Lärm des nahen Kampfes mischt sich mit dem Rauschen des Flusses.
    »Bind sie an«, sagt er. »Und hol die Säcke.«
    Es schmerzt, wieder seinen Befehlen folgen zu müssen, aber jetzt ist nicht der Moment, um Widerstand zu leisten. Ich beeile mich. Er lädt Kisten und Taschen vom Karren, kniet sich hin und beginnt, verschiedene Substanzen in einer Holzschüssel zu mischen.
    Er scheint meine Hilfe nicht zu brauchen, scheint mich vergessen zu haben. Er hantiert mit Päckchen, Fläschchen und Kapseln. Es geht viel zu langsam. Doch immer noch sind Schüsse zu hören.
    Das muss ein gutes Zeichen sein! Wir stehen noch aufrecht und widersetzen uns den Feinden. Aber was ist mit dir? Lebst du noch?
    Langsam bewege ich mich auf den Kampflärm zu.
    Tief in der Klamm tost der Fluss, zu beiden Seiten ragen steil die Felswände auf. Ich bin nur ein paar Meter von der Felskante entfernt. Dem Lärm nach zu urteilen können die Kämpfer nicht weit weg sein. Es war ein guter Plan, den Schiffen hier aufzulauern, noch vor dem Anlegeplatz. Hier sind die Männer von Roswell durch die Höhe und die geschützte Lage im Vorteil. Für die Homelander ist es schwierig, von Bord zu gehen und bis zu unseren Männern vorzudringen.
    Der Wald ist hier licht, es gibt kaum Gebüsch. Geduckt schleiche ich vorwärts, schließlich bewege ich mich nur noch

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