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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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sich auch für dich, bist ja ein hübsches Mädchen geworden.«
    Seine Grausamkeit verletzt mich. Wir beide wissen, dass ich ein gänzlich unscheinbares Gesicht habe.
    Ich stampfe auf das Gekritzel am Boden, das Roswell Station darstellen soll.
    »Denen sage ich auf Nimmerwiedersehen! Sie sind es nicht wert, gerettet zu werden. Warum kümmerst du dich um sie?«
    Mein Blick verrät nichts. Er nähert sich, ich kann seinen fauligen, heißen Atem auf meinem Gesicht spüren. Er flüstert: »Ich wette, die sind jetzt alle richtig nett zu dir.«
    Ich versuche, keine Miene zu verziehen. Doch er weiß, dass er ins Schwarze getroffen hat. Als er mich damals nach Hause schickte, wusste er genau, was mich dort erwarten würde.
    »Wer von denen hat dich je gut behandelt? Nenn mir nur einen.«
    LXXV
    »Setz dich«, sagt er. »Ich mache dir einen Kaffee.«
    Ich schüttele den Kopf.
    Ich höre Schüsse. Sie sind nicht weit weg. Jede Kugel könnte dich in die Brust treffen.
    Auf der Suche nach der Richtung, aus der die Schüsse kommen, nimmt er Witterung auf wie ein hungriger Bär.
    »Aaah.« Er hört ein Geräusch, auf das er lange gewartet hat. Es ist das Geräusch, das einen Krieger zu seiner eigentlichen Bestimmung führt.
    Ich zerre an seinem Ärmel und deute in Richtung der Schüsse.
    Er schüttelt den Kopf. »Das überzeugt mich nicht. Lucas ist jetzt ein Mann. Er kann selbst auf sich aufpassen.«
    Sein erwartungsfroher Blick straft seine Worte Lügen.
    LXXVI
    Welcher Mann ist so gefühllos, dass ihm der eigene Sohn gleichgültig ist?
    Er wird nicht gehen. Nicht für dich und auch nicht, um sich zu rächen oder weil er die Jagd liebt.
    Ich habe nichts anderes erwartet.
    Nun bin ich schon so weit gekommen. Werde ich mich noch weiter vorwagen? Habe ich den nötigen Mut? Werde ich meinen eigenen Scheiterhaufen anzünden, so wie das französische Mädchen aus Darrels Geschichte?
    Seit ich vor zwei Jahren zurückkam habe ich jeden Morgen zugesehen, wie du aus dem Haus gekommen und das kühle Wasser aus dem Bach getrunken hast. Ich habe deinen Schritten durch den Laubwald gelauscht und deine Hände betrachtet, die den Pflug lenkten. Waren all deine Arbeit und dein Leben umsonst? Und all das Schöne, das du in mein Leben gebracht hast?
    Ich halte ihn an der Jacke fest.
    »Du, geh», sage ich klar und deutlich. »Hiif Wuukosch. Ch bleb hia.«
    Er sieht mich an, streicht sich gedankenverloren übers Kinn, betrachtet mich von oben bis unten.
    »Wenn ich Lucas helfe, seinen kleinen Krieg zu gewinnen – dann bleibst du hier?«
    Mir stockt der Atem. Ich nicke.
    »Wie ist das gemeint?«
    Muss er mich das fragen?
    Dieses Wort kann ich sagen. Ich habe es tausende Male geflüstert, wenn ich an dich gedacht habe. Auch jetzt flüstere ich es.
    »Was hast du gesagt?« Er packt mich am Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen. »Wie ist das gemeint?«
    Ich betrachte seine schmutzige Kleidung, die Sehnen und Muskeln, die eisenharte Knochen umschließen.
    »Ehefrau«, sage ich und es klingt völlig normal.
    LXXVII
    Seine Augen leuchten. Er leckt sich die Lippen. »Versprochen?«
    Als ich nicht antworte, streicht er langsam mit der Fingerspitze den Griff des Messers entlang. »Wer ein Versprechen gegenüber Ezra Whiting bricht, wird es bereuen.«
    Mit Grauen denke ich an deine Mutter. Ob sie und ihr Liebhaber wirklich ihr Paradies gefunden haben?
    »Und ihre Familien ebenfalls.«
    Mutter.
    Was habe ich nur gesagt?
    Ich fühle nur noch Angst.
    Zum Umkehren ist es jetzt zu spät. Und es ist auch zu spät, um woanders Hilfe zu suchen. Deshalb bin ich ja hier.
    Ich nicke und deute Richtung Fluss. »Geh!«
    Grinsend beeilt er sich. Soll ich mich geschmeichelt fühlen? Er geht hinter die Hütte und kommt mit einem Pferd wieder. Früher hatte er keines. Es ist eine wunderschöne, graugesprenkelte Stute. Aber niemandem im Dorf wurde ein Pferd gestohlen. Ich streichle ihre Nüstern, während der Colonel sie vor einen kleinen Karren spannt. Wie konnte je ein Pferd durch die schmale Klamm gelangen, die an diesen Ort führt?
    Er verschwindet in der Hütte. Als er zurückkommt, trägt er Säcke voller Päckchen und Behälter über der Schulter. An seinem Gürtel sind ein Messer, ein kleiner Topf, ein Feuerstein und einige mir unbekannte Instrumente befestigt. Düstere Werkzeuge. Er lädt Kisten mit Zündpulver und Gewehren auf den Karren. In der Hütte ist noch mehr Pulver. Ich erinnere mich genau. Aber er hat genug aufgeladen.
    Wie schnell er sich bewegt! Vor

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