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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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heftig und schreist: »Rückzug! Rückzug!«
    Ich erschrecke. Darrel bewegt sich im Schlaf. Was ist los? Rückzug?
    Männer huschen aus ihren Verstecken nahe dem Abgrund wie Wachteln, die vor einem Jäger fliehen. Sie laufen geduckt und sammeln sich in kleinen Gruppen – manche ganz dicht bei unserem Baum. Unwillkürlich schreie ich auf – es erschreckt mich, wie viele Männer die ganze Zeit unbemerkt in unserer Nähe waren.
    Im Licht einiger Laternen sehe ich, dass auch die Männer auf der anderen Seite der Schlucht ihre Verstecke verlassen.
    Langsam begreife ich. Doch haben wir uns weit genug zurückgezogen?
    XC
    Im Licht der Laternen bemerken mich einige der Männer. Der Lehrer, Abijah Pratt und Marias Vater, Mr Johnson – sie alle starren zu mir herüber, aber nur für einen Augenbl ick. Ich gehöre nicht zu den Frauen und Kindern, die um jeden Preis gerettet werden müssen. Deshalb kann ich ruhig hier sein. Auch die Fremden aus Pinkerton halten inne und beobachten mich neugierig.
    Du läufst oberhalb der Schlucht entlang. Im Schein einer Fackel leuchtet dein Gesicht.
    Jetzt hört es sich an, als hätte jemand einen Stein in einen Brunnen geworfen.
    Noch einen. Und noch einen. Mit dumpfen Geräuschen landen die Gegenstände. Auf irgendeinem Boden?
    Auf den Schiffen.
    Plötzlich bricht mit einem ohrenbetäubenden Knall die Erde auf. Wir alle fallen zu Boden. Auf dem Rücken liegend sehen wir eine Flammenwand aus der Schlucht aufsteigen. Wir spüren die Hitze auf der Haut.
    Noch ein Donnern. Und noch eine Feuerwand.
    »Was ist los?«, wimmert Darrel.
    »Es regnet Feuer vom Himmel«, antwortet Pastor Frye. Ich drehe mich um. Ihn hatte ich hier nicht erwartet.
    Aus der Klamm dringen grauenvolle Schreie und schrecklicher Gestank. Ein dumpfer Knall. Jetzt brennt ihre Artillerie. Öliger, schwarzer Rauch steigt auf.
    Es gab zwei Explosionen. Nicht drei.
    In der Ferne zeichnet sich die Silhouette des Colonels vor den lodernden Flammen ab. Er läuft hin und her. Weiß er, dass wir ihn sehen können? Er ist verwirrt. Warum gab es nur zwei Explosionen?
    »Das ist Ezra Whiting«, sagt ein älterer Mann hinter mir. Er klingt, als habe er einen Geist gesehen. Was wahrscheinlich stimmt. Einen Geist oder einen Feuerengel.
    »Ezra Whiting?«
    »Das kann nicht sein.«
    »Wer ist Ezra?«
    »Das ist er, eindeutig. Colonel Whiting. Angeblich ist er tot.«
    Während wir hier kauern und auf unsere Rettung warten, hat dein Familienname ein ganz eigenes Feuer entfacht.
    »Ezra!«, ruft jemand.
    »Was hat ihn hierher geführt?«
    Du hörst ihre Stimmen und erstarrst. In der Dunkelheit kannst du nicht sehen, dass du beobachtet wirst. Also hast du vergessen, dass wir euch beide sehen können.
    »Wo in Gottes Namen ist er so lange gewesen?«
    XCI
    Vielleicht sind deine Truppen vor Erstaunen erstarrt – du bist es jedenfalls nicht. Du rufst die Männer an deine Seite und richtest deine Waffe in die Schlucht.
    Das dritte Schiff. Dessen Besatzung wird jetzt verzweifelt sein. Vielleicht verlassen sie das Deck und riskieren den gefährlichen Aufstieg, um einen letzten Kampf auszufechten. Schon auf einem dieser Schiffe sind mehr als genug Homelander. Sie werden kämpfen wie verwundete Bären.
    Die Männer von Roswell Station laden die Gewehre und schießen. Jungen in Darrels Alter helfen beim Laden. Die Kugeln pfeifen uns um die Ohren und schlagen zum Teil nicht weit von uns entfernt in den Boden. Ich ziehe Darrel so weit hinter einen Felsen, wie es geht.
    Ich sehe, wie ein Mann aus Roswell Station zu Boden sinkt.
    Genügt die Hilfe nicht, die ich geholt habe?
    XCII
    Jetzt beobachtet niemand mehr deinen Vater. Deshalb sieht niemand außer mir, wie Abijah Pratt auf ihn zugeht und ihm mit beiden Fäusten auf die Schultern schlägt.
    Der Colonel fällt um wie ein Sack Heu. Jetzt siehst auch du, was vor sich geht. Binnen Sekunden bist du bei Abijah Pratt und zerrst ihn von deinem Vater herunter.
    Abijah Pratt rudert mit dem Armen. Seine Schreie übertönen das Tosen der Flammen. Jemand hilft deinem Vater auf die Beine. Er klopft sich den Staub aus der Kleidung und verzieht sich, sichtlich bemüht, sein Humpeln zu verbergen.
    Abijah hat den Colonel angegriffen! Und das gerade jetzt, wo wir um unser Leben kämpfen? Macht er ihn für den Tod seiner Tochter verantwortlich? Werden auch andere so denken, wenn die Vergangenheit des Colonels aufgedeckt ist? Ein Totgeglaubter kehrt mit Schießpulver aus dem Wald zurück und wird nun für all das Schlechte

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