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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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Hörweite bin, tragen mich meine Füße so schnell wie möglich zu dir. Sie kennen den Weg. Ich bewege mich im Schutz der Nacht. Zweige streifen mein Gesicht, mein Haar fliegt wie ein Banner im Wind. Ich berste fast, so sehr füllen mich der Moment und mein eigener Wagemut aus. Die Nacht im Wald war nichts gegen das, was ich jetzt tue. Ich kann nur an dich denken. Du bist zu mir gekommen, du hast an mich gedacht – warum weiß ich nicht, aber wenn du an mich denkst, fliege ich zu dir.
    LXXIX
    Ic h sehe dein Haus und bleibe stehen. Das Atmen schmerzt . In deinem Fenster brennt Licht. Es zieht mich magisch an.
    Ich bin deinetwegen gekommen und ich kann nicht zurückgehen, ehe ich weiß, was du mir sagen wolltest.
    Wie soll ich dir antworten, wenn du mit mir sprichst? Wirst du meine Laute abstoßend finden?
    Du weißt, dass ich nicht sprechen kann. Ich vertraue dir. Du bist der freundlichste Mensch, den ich kenne. Ich lege mein Herz in deine Hände.
    Ich zwinge mich, zur Tür zu gehen.
    Dann klopfe ich an.
    LXXX
    Schritte. Der Riegel. Und du stehst vor mir. Dein Hemd ist halb aufgeknöpft, dein Haar zerzaust. Mit offenem Mund starrst du mich an.
    Ich wünschte, ich wäre zu Hause im Bett geblieben.
    Doch hier stehst du vor mir im Licht, strahlend und warm. Du betrachtest meine Haare und das skandalöse Brautkleidweiß meines Nachthemds. Täusche ich mich oder hast du mich noch nie zuvor so angesehen?
    »Judith.«
    Du nennst mich wieder bei meinem Namen. Wir sind jetzt nicht in der Öffentlichkeit.
    Immer noch starrst du mich mit großen Augen an. Das hier gehört sich einfach nicht. Aber es ist mitten in der Nacht. Niemand kann uns sehen. Du hältst mir die Tür auf.
    »Bitte, komm herein.«
    Diesmal betrete ich das Haus auf deine Einladung hin. Ich weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll. Du bietest mir einen Stuhl an, wirfst noch einen Ast ins Feuer und setzt den Kessel auf.
    Du wirst mir eine Tasse Tee anbieten. Ich setze mich aufrechter hin.
    Du setzt dich mir gegenüber und beugst dich nach vorne. Ich kann in dein aufgeknöpftes Hemd hineinsehen und werde rot. Du musterst mein Gesicht, was dich anscheinend verlegen macht. Schließlich betrachtest du meine Haare.
    »Gut, dass du gekommen bist.«
    Die Frauen des Dorfs würden dem nicht zustimmen, aber ich lasse dir die Bemerkung durchgehen.
    Ich will dich nicht anstarren, also sehe ich mich in der Hütte um. Es ist dunkel, nur das Feuer und eine Lampe auf dem Tisch spenden Licht. Mein Blick fällt auf das Bett mit den blaugemusterten Laken. Ich erinnere mich an den Moment, als du mich dort gefunden hast.
    »Du hältst mich bestimmt für seltsam.«
    Nein! Ich schüttele den Kopf. Dich doch nicht. Niemals.
    »Darf ich dich etwas fragen?«
    Natürlich.
    »Es ist einfach so, dass ich all die Jahre nie geglaubt hätte, dass …«
    Ich betrachte deine Zähne, Lippen, Augen, deine rote Zunge. Du fährst dir mit den Fingern durchs Haar und siehst aus, als seist du eben aufgestanden. Ich kann kaum atmen.
    Mit gesenktem Blick flüsterst du: »Ich muss es wissen, sonst werde ich verrückt. War es …«
    Ich nehme deine Hand. Jetzt schon zum zweiten Mal. Unter der trockenen, ledrigen Haut brennt ein Feuer. Ich drücke dir die Hand und zwinge dich so, mich anzusehen. Was siehst du? Du kannst mich alles fragen, Lucas, und ich werde dir mit all der Wahrheit antworten, die in mir ist, selbst wenn ich dafür dumme Zeichnungen anfertigen muss. Es gibt nichts, was ich dir nicht sagen würde, wenn ich könnte und wenn du mich fragtest. Und nichts, was ich nicht täte.
    Du ringst nach Worten und blickst auf meine Hand, die deine hält. Dann siehst du mich flehend an und ich leide mit dir. Ich lasse deine Hand nicht los.
    »Du hast meinen Vater während des Kampfs geholt und uns alle gerettet.«
    Ich genieße den Augenblick, obwohl du ihn zu uns in den Raum geholt hast.
    »Nach all den Jahren, in denen ich ihn für tot hielt, war es ein Schock, ihn lebend zu sehen. Mich quält der Gedanke … So viele Gedanken. Warum ist er nicht zu mir gekommen, warum wollte er sich nicht helfen lassen, wollte er mich nicht sehen?«
    Er hat so viele Menschen verletzt. Natürlich hast du gelitten. Aber du hast es gut versteckt. Und jetzt vertraust du mir deine Gefühle an – mir!
    »Aber das Schlimmste von allem ist der Gedanke … und die Furcht … Ich will dich nicht quälen, aber ich fürchte, wenn ich es nicht erfahre, werde ich in diesem Leben keine ruhige Minute mehr haben …«
    Ich rücke

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