Ich bin die Nacht
Bewusstlosigkeit. Dann spürte er, wie er hochgehoben wurde. Durch das Badezimmer ging es in den Flur. Erst als er an der Treppe war, wurde ihm klar, dass Ackerman ihn aus dem Feuer getragen und aus den Fängen des Todes befreit hatte.
Der Killer setzte ihn auf dem Treppenabsatz ab. Rauch trieb an ihnen vorbei, zog aber zum Dach hinauf. Aus den unteren Stockwerken drang frische Luft nach oben, und Marcus sog gierig den Sauerstoff ein. Emily saß neben ihm und tat es ihm gleich.
»Kannst du gehen?«, fragte Ackerman.
Marcus nickte. »Ich finde einen Weg«, krächzte er mit trockener Kehle.
»Dann sieh zu, dass du hier rauskommst, ehe der Bau zusammenbricht.«
Marcus blickte zu Ackerman hoch. Er stand noch immer halb im Flur. Das Feuer toste im Hintergrund. Ruß und Blut bedeckten das Gesicht des Killers, und die Flammen hinter ihm erweckten den Eindruck, als leuchtete seine Gestalt.
»Und was ist mit dir?«, fragte Marcus.
Ackerman blickte nach hinten in die Flammen. »Ich glaube, ich bleibe noch ein Weilchen.«
Marcus nickte. Der Killer hatte seine Wahl getroffen. In seinem Zustand konnte Marcus ihn ohnehin zu nichts zwingen. Außerdem hatte die Polizei das Gebäude umstellt. Für Ackerman war die Flucht unmöglich. Er wollte einen Tod nach eigenen Bedingungen, und den konnte und wollte Marcus ihm nicht vorenthalten.
Marcus erhob sich mit wackligen Beinen, fasste Emily unter die Achsel und half ihr auf. Nach einem letzten Blick auf Ackerman schlang er den Arm um ihren Rücken und stützte sie, als sie die Stufen hinunterstiegen.
Als sie den nächsten Treppenabsatz erreichten, blickte Marcus ein letztes Mal über die Schulter. In Ackermans Augen tanzte das Licht der Flammen.
»Ich habe über deine Frage nachgedacht«, sagte Marcus.
»Welche Frage?«
»Du hast mich gefragt, ob ich glaube, dass jedem vergeben werden kann.«
»Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«
»Ich glaube, es ist egal, was man getan hat. Egal wie tief man gefallen ist, man kann Vergebung finden, wenn man wirklich will.«
Ackerman lächelte. Erstaunt sah Marcus, dass es ein Lächeln voller Wärme war.
»Leb wohl, Marcus.« Mit diesen Worten trat der Killer ins Feuer zurück.
Marcus wandte sich ab und stieg in eine ungewisse Zukunft hinunter.
Er hoffte, dass selbst ein Mann wie Ackerman im Jenseits Frieden finden konnte.
68.
Seit fast zwei Stunden saß Marcus im Vernehmungsraum des FBI-Büros in Denver. Seine Handgelenke schmerzten von den Handschellen. Ein übereifriger Cop hatte sie zu fest geschlossen. Jeden Moment könnte ein selbstgefälliger Agent hereinkommen und mit dem wahrscheinlich langwierigen, zermürbenden Verhör beginnen. Marcus war klar, was sie vorhatten: Sie wollten ihn schwitzen lassen, doch in ihm war kein Schweiß mehr übrig. Nachdem er es mit dem Sheriff und Ackerman aufgenommen hatte, konnte das FBI ihn nicht mehr einschüchtern.
Nur zu. Nach der Woche, die ich hinter mir habe, wird auch das schlimmste Verhör geradezu eine Erholung für mich sein.
Er wollte nur noch schlafen. Ihm war, als wäre er seit einer Woche wach, was vielleicht sogar stimmte. Er wollte sich nur noch ins Bett fallen lassen und zwei Tage später aufwachen, erfrischt und ausgeruht. Nur träumen wollte er nicht. Er fragte sich ohnehin, ob nach den Erlebnissen der letzten Tage seine Träume besser oder schlechter sein würden. Aber das konnte nur die Zeit zeigen.
Innerlich hatte er jedes Schicksal akzeptiert, das ihn erwartete. Ihm war gelungen, was er sich vorgenommen hatte, und nichts anderes spielte mehr eine Rolle. Er wünschte sich, alles hinter sich lassen zu können. Und er hätte Maggie noch einmal gern in die Arme genommen. Aber er wusste, dass seine Wünsche nie in Erfüllung gingen.
Er sah keinen Ausweg. Er hatte keine Beweise, nur eine Reihe von Leichen. Doch zu verlieren hatte er auch nichts.
Von der Flut der Gedanken schmerzte ihm der Kopf. Zu viele Dinge belasteten ihn nach wie vor. Er fragte sich, ob seine Eltern stolz auf ihn wären. Er fragte sich, welches Leben er geführt hätte, wenn er nie über den Fall Mavros gestolpert wäre. Wäre er noch immer bei der Mordkommission? Wäre er mittlerweile verheiratet und hätte Kinder?
Fragen über Fragen gingen ihm durch den Kopf. Am Ende kam er zu dem Schluss, dass alles genau so hatte geschehen sollen, wie es gekommen war.
Vielleicht hatte Ackerman ja recht. Vielleicht hatte sein ganzes Leben sich auf einen bestimmten Punkt zubewegt. Vielleicht diente sein
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