Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Coss
Vom Netzwerk:
5:15. Marcus schwang sich aus dem Bett und ging in die Küche, um sich einen starken Kaffee zu kochen. Dann schaltete er im Wohnzimmer den Fernseher ein und zappte durch die Kanäle, während er sich auf einem Klappstuhl niederließ. Noch nicht ausgepackte Umzugskartons standen um ihn herum. Den Fernseher und die Kaffeemaschine hatte er als Erstes aufgestellt.
    Nur fünf Sender kamen klar herein. Marcus konnte zwischen verschiedenen Dauerwerbesendungen und einem lokalen Nachrichtensender wählen. Da er noch nicht den Lebensabschnitt erreicht hatte, dass er Bedarf für Rheumadecken, eine CD-Box mit den besten Country-Songs der Sechzigerjahre und aufsprühbaren Haarersatz aus der Dose hatte, entschied er sich für die Nachrichten.
    Während er an seinem Kaffee nippte, erschien ein Bild auf dem Schirm, das sofort seine Aufmerksamkeit weckte. Er war sich zwar so gut wie sicher, dass er das Gesicht auf dem Bildschirm noch nie gesehen hatte, doch in den Zügen des Mannes entdeckte er etwas Vertrautes, und in den grauen Augen spiegelte sich etwas, das ihm nur zu gut bekannt war: eine unstillbare Begierde, die den finstersten Regionen einer verdammten Seele entsprang. Eine ähnliche Begierde hatte Marcus in jener Nacht gesehen, die ihn bis heute verfolgte. Er stellte den Fernseher lauter.
    »In jüngster Zeit wird Ackerman die brutale Ermordung dreier Männer angelastet, darunter zwei Trooper von der State Police in Colorado. Das Verbrechen nahm allerdings eine unerwartete Wendung. Angeblich nahm Ackerman die Familie eines der Ermordeten als Geisel und zwang sie zu einem sadistischen Spiel. Der Sprecher der Colorado State Patrol, Major Christian Steinhoff, äußerte sich dazu bei einer Pressekonferenz.«
    Das Bild wechselte zu einem Mann auf einem Podium, der die Einzelheiten des Verbrechens an der Familie schilderte und vom wundersamen Überleben eines Opfers berichtete, einer Frau namens Emily Morgan. Ein Bild Emilys wurde gezeigt. Ihr blasses Gesicht schien von innen heraus zu leuchten.
    »Francis Ackerman ist bewaffnet und extrem gefährlich. Er wird verdächtigt, seit seinem Ausbruch aus einer geschlossenen Anstalt in Michigan eine unbekannte Anzahl Männer und Frauen brutal ermordet zu haben. Bei einer Reihe weiterer Verbrechen wird er als Zeuge gesucht. In einem Interview vom gestrigen Nachmittag erklärte ein Vertreter des Sheriffbüros von Dimmit County unserem Reporter, dass Ackerman vermutlich als einer der gefährlichsten Serienmörder aller Zeiten in die amerikanische Geschichte eingehen wird …«
    Wie geht dieser Killer vor, fragte sich Marcus. Tötet er seine Opfer mit einer Pistole? Seiner Erfahrung nach war es für Psychos wie Ackerman befriedigender, wenn sie mit einem Messer oder bloßen Händen mordeten.
    Was konnte einen Mann überhaupt dazu bringen, solche Taten zu begehen? Was konnte bewirken, dass ein normaler Mensch sich in einen irrsinnigen Killer verwandelte?
    Marcus kam ein verrückter Gedanke. Vielleicht machte ein Wissenschaftler irgendwann die Entdeckung, dass die Wurzel aller Serienmorde und Gewalttaten nicht auf Misshandlungen in der Kindheit beruhte oder dunklen Einflüsterungen aus der Hölle, sondern auf dem gelben Lebensmittelfarbstoff Nummer 5 oder dem roten Farbstoff Nummer 40, die für Twinkies verwendet wurden, die allseits beliebten kleinen Kuchen mit Cremefüllung.
    Verrückt durch Twinkies. Marcus lächelte müde.
    Immerhin bewirkte dieser Gedanke, dass er nicht mehr über den Killer im Fernsehen nachdachte und auch nicht – wenn auch nur für wenige kostbare Sekunden – über die dunklen Taten in seiner eigenen Vergangenheit.
***
    Nachdem er den Fernseher ausgeschaltet hatte und auf die Veranda hinausgetreten war, erkundete Marcus die ausgedehnte Farm. Er hatte sie von seiner Tante Ellen geerbt. Nach dem Mord an seinen Eltern war Marcus von Ellen großgezogen worden. Umso mehr hatte ihn das Erbe überrascht: Er hatte gar nicht gewusst, dass Ellen eine Farm besaß. Einem Brief zufolge, der dem Testament beigelegen hatte, war eine Ranch zeitlebens ihr großer Traum gewesen.
    Jetzt erfüllte die Farm Marcus den großen Traum vom Neuanfang.
    Er setzte sich auf die Veranda, blickte in den frühmorgendlichen Himmel und empfand zum ersten Mal nach langer Zeit so etwas wie Frieden.
    Doch dieser Frieden war nur von kurzer Dauer. Er verblasste wie ein Trugbild, als ihm plötzlich ein eisiges Gefühl das Rückgrat hinaufkroch.
    Ich bin nicht allein. Ich werde beobachtet.
    Furcht streckte

Weitere Kostenlose Bücher