Ich bin die Nacht
FBI nennt sie die Ackerman-Bänder. Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, aber dieser Psychopath soll sich hier in der Gegend aufhalten. Wir wissen es natürlich nicht mit Sicherheit, aber ich habe einen alten Freund beim FBI angerufen und ihn gebeten, mir mehr Material zu schicken. Ich will für den Fall der Fälle vorbereitet sein. Es ist wirklich eine faszinierende Geschichte. Aber egal, ich habe Sie gebeten vorbeizukommen, damit wir …«
»Was ist eine faszinierende Geschichte?«, fragte Marcus.
»Francis Ackerman. Ich bin sicher, Sie kennen diesen Namen.«
»Allerdings. Ich habe in den Nachrichten von ihm gehört.«
»Auch sein Vater war ein ziemlich verkorkster Kerl, ein zweitklassiger Psychologieprofessor. Seine Theorien und Veröffentlichungen wurden von der wissenschaftlichen Gemeinde mehr oder weniger ignoriert. Er verfolgte die Theorie, dass Mörder geschaffen werden, nicht geboren – dass sie die Produkte ihrer Umgebung sind. Er warf der Gesellschaft vor, Ungeheuer in Menschengestalt zu produzieren. Ich bin kein Psychologe, aber so viel ich weiß, sind die meisten Experten sich einig, dass Gewaltverbrechen und abartiges Verhalten durch eine Kombination von beidem verursacht werden. Bestimmte Umwelteinflüsse lösen bei Menschen mit bestimmten Erbfaktoren eine Reaktion aus. Schließlich wachsen die meisten Menschen, die in ihrer Kindheit ein traumatisches Erlebnis hatten, nicht zu Serienmördern heran, Gott sei Dank. Und nicht alle Mörder hatten eine traumatische Kindheit.«
»Hat das FBI nicht vor einiger Zeit eine Studie veröffentlicht, nach der etwa drei Viertel aller Mörder in ihrer Kindheit irgendeine Form von Misshandlung erlitten haben?«
»Ganz recht.« Der Sheriff nickte. »Das Verhältnis von Natur zu Umgebung ist ein heißes Eisen bei den Spezialisten für Verhaltens- und Persönlichkeitsentwicklung. Beide Seiten können mit überzeugendem Beweismaterial aufwarten. Wahrscheinlich nehmen deshalb die meisten Experten an, dass eine Kombination vieler Faktoren dahintersteckt. Ackerman senior wollte sich mit aller Kraft, beinahe schon verzweifelt einen Namen machen und kam schließlich an einen Punkt, an dem er glaubte, seine Theorien nur durch Experimente an einem Kind beweisen zu können.«
»Und?«, fragte Marcus.
»Und er nahm seinen eigenen Sohn dazu.«
»Was?«, stieß Marcus hervor. »Er wollte seinen eigenen Sohn in den Wahnsinn treiben?«
»Er hat es versucht. Er wollte zeigen, dass er ein normales Kind zu einem Psychopathen machen kann. Schließen Sie einen Moment die Augen. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein kleiner Junge. Dann denken Sie an alles Schlimme, was je im Leben eines schlechten Menschen passiert ist, an die schlimmen Dinge, die sie zu Ungeheuern gemacht haben. Körperliche und seelische Misshandlung. Folter. Tod. Alles, was Ihnen einfällt, das kein Kind je sehen oder am eigenen Leib erfahren sollte. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass das alles Ihnen passiert.«
Marcus schlug langsam die Augen auf. »Mein Gott«, flüsterte er. »Aber dabei würde jeder den Verstand verlieren. Das beweist gar nichts.«
»Das ist das Schlimmste daran. Ackerman senior glaubte, dass seine Experimente Einblicke in den Verstand von Mördern bieten würden, sodass man letztendlich Menschenleben damit retten könne. Er glaubte, seine Arbeit würde einen Weg zu einer Therapie für abartiges Verhalten aufzeigen. Er glaubte, man würde ihn als Helden verehren. Natürlich war ihm klar, dass seine Versuche Entsetzen und Empörung hervorrufen würden, und er wollte nach der Veröffentlichung seiner Ergebnisse nach Europa gehen und dort seine Arbeit fortsetzen. Sein Ziel war, einen perversen Killer heranzuzüchten, um ihn dann zu heilen. Doch als seine Arbeit entdeckt wurde, bewies sie gar nichts, genau wie Sie sagten. Unterm Strich kam nur heraus, dass er ein miserabler Psychologe war.«
»Noch viel mehr als das«, sagte Marcus. »Wer seinem eigenen Sohn so etwas antut, hat mehr als nur ein paar Schrauben locker.«
»Allerdings. Wie Sie sicher wissen, gibt es zwei große Theorieansätze. Bei dem einen geht man davon aus, dass die Umwelt den Menschen mehr formt als seine Anlagen. Bei dem anderen vermutete man, dass die natürlichen Anlagen ausschlaggebender für den Charakter sind als die äußeren Einflüsse. Ackermann senior wollte die Theorie vom stärkeren Einfluss der Umgebung beweisen, aber letzten Endes untermauerte er die Veranlagungs-Theorie ebenso sehr. Viele Psychologen
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