Ich bin die Nacht
Haus zu setzen, beschloss dann aber, den Sheriff vorsichtshalber über das Festnetz anzurufen. In einer abgeschiedenen Gegend wie dieser war es möglich, dass Maggie übers Handy keine Verbindung bekam.
Er ging ins Haus zurück, nahm im Vorbeigehen einen ungeöffneten Brief vom Poststapel auf dem Esstisch und wählte die Notrufnummer.
»Schicken Sie die Polizei nach 91244 Foxbrook Road in Asherton«, sagte er, nachdem eine Frauenstimme sich gemeldet hatte. »Das Haus von Maureen Hill.«
Er hörte das Klappern einer Computertastatur. »Sind Sie im Augenblick dort, Sir?«
»Ja.« Er schaute wieder auf den Umschlag und runzelte die Stirn. Eine Adresse in Colorado? Seltsam.
»Wird ein Rettungswagen benötigt, Sir?«, riss die Frau ihn aus seinen Gedanken.
»Nein. Aber melden Sie bitte der Polizei, sie soll den Coroner mitbringen.«
8.
Der Sheriff betrachtete die Leiche Maureen Hills und blickte in ihre leeren, starren Augen. Die Qual, die sich noch immer darin spiegelte, war ihm nur allzu vertraut. Er hatte diesen Ausdruck gesehen, als er damals seiner Frau Kathleen in die Augen geschaut hatte.
Er kämpfte gegen die Tränen an, als die schmerzlichen Erinnerungen an jenen schrecklichen Tag auf ihn einstürmten. Er war nach Hause gekommen und hatte im Wohnzimmer ihren verstümmelten Leichnam gefunden. Kathleen war schon zwei Tage tot gewesen. Zwei volle Tage – und ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie nicht mehr angerufen hatte.
Als sie gestorben war, hatte er sich in beratender Funktion in Kansas City aufgehalten. Es ging um eine Serie von Sexualmorden in Virginia und Washington, D. C. Er hatte für die ermittelnden Beamten ein Täterprofil erstellt. Mithilfe seiner Analyse konnte die Polizei einen Verdächtigen einkreisen, aber der Mann war der Festnahme entgangen und befand sich auf der Flucht.
Der Sheriff war noch heute stolz auf seine Arbeit an diesem Fall. Bei einer Pressekonferenz hatte ihm der Ermittlungsleiter persönlich gedankt und hervorgehoben, dass sein Profil eine wesentliche Rolle bei der Identifizierung des mutmaßlichen Sexualmörders gespielt habe. Der Sheriff erinnerte sich noch an den Stolz, den er empfunden hatte, als sein Name durch die Medien ging.
Für seine Rolle bei dem Ermittlungserfolg würdigten ihn allerdings nicht nur seine Vorgesetzten, sondern auch der Täter. Da er nichts mehr zu verlieren hatte, beschloss er, sich an den Familien seiner Verfolger zu rächen. Der Mann vergewaltigte und ermordete zuerst Kathleen, dann die Frau und die Stieftochter des Ermittlungsleiters.
Der Verlust Kathleens warf den Sheriff für längere Zeit aus der Bahn. Nicht nur, dass sie ihm schrecklich fehlte – fast genauso schlimm war das Wissen, dass er selbst ihr grausames Ende verursacht hatte: Sein Fahndungserfolg war das Todesurteil für Kathleen gewesen. Darüber hinaus hatte er erkennen müssen, dass er sie nicht genügend geschätzt, sogar vernachlässigt hatte, als sie noch lebte.
Nun schilderte Marcus ihm in allen Einzelheiten, was geschehen war. Der Sheriff hörte ihm zu, unterbrach ihn nur hin und wieder mit einer kurzen Frage.
Der Chief Deputy, Lewis Foster, hörte ebenfalls zu und machte sich auf einem kleinen Schreibblock Notizen. Foster war ein junger Mann Ende zwanzig. Er trug eine gut sitzende sandbraune Uniform, und man sah ihm an, dass er viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte. Seine bevorzugte Verhörmethode bestand wahrscheinlich aus einem dick umwickelten Schlagstock und einem verschlossenen Raum. Marcus kannte den Typ – der schwächliche Junge, der immer verprügelt worden war, bis er anabole Steroide entdeckte und als Muskelprotz die Seiten wechselte. Im Gegensatz zu dem zwielichtigen Foster strahlte der Sheriff Selbstvertrauen und Tüchtigkeit aus.
»Was für eine Geschichte«, murmelte Foster, als Marcus geendet hatte.
»Ja, eine Tragödie«, pflichtete der Sheriff ihm bei. »Also haben Sie im Haus oder auf dem Grundstück niemanden gesehen, Marcus?«
»Nein. Wer immer das getan hat, er war schon lange verschwunden, als ich hierherkam.«
»Oder ist nie weggegangen«, sagte Foster.
Marcus musterte den Chief Deputy mit zusammengekniffenen Augen. »Was soll das heißen?«
»Nun, mir kommt es nur merkwürdig vor, dass jemand in unsere schöne Stadt zieht, und bereits zwei Tage später hat er ein paar Männer krankenhausreif geschlagen und seinen ersten Mord entdeckt. Sie sind schon ein Pechvogel, was?«
»Ja. Schließlich muss ich mich nicht jeden Tag mit
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