Ich bin die Nacht
Stadt gefahren? Aber Maggie hatte gesagt, das sei völlig unüblich für sie.
Obwohl er dagegen ankämpfte, stieg Furcht in ihm auf. Er ballte die Fäuste, bereit, zuzuschlagen, falls jemand aus einem Zimmer gestürzt kam.
Die Tür links war geschlossen, das Zimmer rechts dagegen stand offen. Licht schien heraus und warf eigentümliche Schatten an die Wand. Angespannt spähte Marcus um die Ecke. Als er keine unmittelbare Gefahr entdeckte, betrat er den Raum.
Er sah ein Trimmrad, eine Rudermaschine, einen kleinen Fernseher und ein paar Geräte, die er nicht erkannte. Alles war von einer feinen Staubschicht bedeckt. Er sah, dass die Schatten im Flur von einem alten Baum vor dem Fenster herrührten, der sich sanft im Wind wiegte.
Marcus schaute in den Schrank und wandte sich der ersten geschlossenen Tür zu.
Er drehte den Knauf und schob die Tür langsam nach innen. Auf dem sorgfältig gemachten Bett lagen dekorative Kissen. Ein Berg aus Stofftieren türmte sich in einer Zimmerecke. Darüber hing ein Regal voller Sammelpuppen.
Marcus durchsuchte das Zimmer, fand aber nichts, was auf ein Verbrechen hindeutete.
Langsam ging er zum nächsten Zimmer.
Vielleicht spielt meine Fantasie mir einen Streich, sagte er sich. Schon heute Morgen auf der Farm habe ich Gespenster gesehen, und jetzt habe ich Angst vor den Schatten …
Er blieb wie angewurzelt stehen.
Zweifel und Wunschdenken gehörten plötzlich nicht mehr ins Reich des Möglichen.
Am Türknauf zum letzten Zimmer klebte Blut.
***
Marcus schlug das Herz bis zum Hals. Der Puls pochte ihm in den Schläfen. Er streckte die Hand aus, packte den Knauf und erschauderte, als er klebriges Blut an den Fingern spürte. Widerwillig drehte er den Knauf und drückte die Tür vorsichtig nach innen.
Überall war Blut. Verwesungsgestank stand in dem kleinen Raum. Fliegenschwärme summten. Die Luft kam ihm feucht und klebrig vor und schien sich wie ein fettiger Film auf die Haut zu legen. Er würgte, und ihm wurde schwindlig. Der Mageninhalt stieg ihm in die Kehle.
Ein Mensch konnte so etwas unmöglich getan haben. Das war ein brutaler Schlächter gewesen.
Nein , überlegte er, » brutal« reicht nicht aus, um ein solches Gemetzel zu beschreiben . Das Wort war viel zu schwach. Es gab kein Wort, das eine solch wahnsinnige Gewalt beschreiben konnte.
Marcus brach der Schweiß aus.
Ruhig bleiben, Junge , ermahnte er sich.
Woher kam der Gestank? Wo war die Leiche?
Als er sich langsam umschaute, sah er im Spiegel des Toilettentisches etwas Seltsames. Er schaute genauer hin, und der Schock traf ihn mit voller Wucht. Das Spiegelbild zeigte ein blutiges Händepaar, das über die Tür ragte, die er gerade geöffnet hatte.
O Gott.
Marcus drehte sich um und ging mit langsamen Schritten zu der angelehnten Tür. Er wusste, dass der Anblick für den Rest seines Lebens in sein Gedächtnis gebrannt sein würde, als er die Tür nach innen zog.
Er starrte auf die entstellte Leiche einer zierlichen Frau.
Zwei lange Stacheln durchbohrten ihre Hände und nagelten sie an die Wand. Sie war nackt. Lange Schnittwunden überzogen ihren geschundenen Körper. Marcus sah, dass es weder Hiebe noch Stiche waren, stattdessen hatte der Mörder die Schneide gerade so tief ins Fleisch gedrückt, dass die Haut aufgetrennt wurde, und war dann mit der Klinge den gesamten Körper entlanggefahren.
Marcus betete, dass die Frau vom Schock rasch die Besinnung verloren hatte, doch eine Bestie wie Ackerman wusste garantiert, wie man die Bewusstlosigkeit verhinderte und die Qual verlängerte. Wahrscheinlich war die Frau erst nach schrecklichem Leiden verblutet.
Er wollte sich abwenden, aber der Polizist in ihm behielt die Oberhand. Er trat näher an die Tote heran und entdeckte Anzeichen der Verwesung. Das verbliebene Blut hatte sich in den unteren Körperpartien gesammelt, und ein milchiger Film bedeckte die Augen. Fliegen umschwirrten die Leiche.
Irgendetwas stimmte hier nicht, aber was? Marcus vermochte es nicht zu sagen. Es hatte mit den Händen und dem Blut zu tun, doch es fiel im schwer, sich zu konzentrieren. Die Emotionen waren stärker als die Vernunft.
Er stellte sich Maureen Hills letzte Augenblicke vor, sah sie vor sich, wie der Mörder sie folterte, während sie vor Schmerzen schrie – ein Schmerz, den kein lebendes Wesen erdulden sollte. Er sah, wie ihr Peiniger mit dem gleichen Stolz lächelte wie ein Maler oder Bildhauer, nachdem er ein Meisterstück vollendet hat.
Die toten Augen Maureens
Weitere Kostenlose Bücher