Ich bin die Nacht
musste sie einkaufen.«
Maggie schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Sie bezahlt einen Jungen aus der Stadt, der ihr alles bringt, was sie braucht. Ich habe ihr sogar gesagt, dass wir heute möglicherweise vorbeikommen. Deshalb kann ich mir unmöglich vorstellen, dass sie weg ist. Sie war gespannt darauf, dich kennenzulernen. Schließlich bist du ihr nächster Nachbar.«
Marcus sah, wie ein Ausdruck der Angst in Maggies Augen erschien. Er wusste, dass es wahrscheinlich nur an seiner Paranoia lag, musste aber sofort an Ackerman denken.
Er klopfte, doch niemand reagierte. Er streckte die Hand nach dem Türknauf aus und drehte ihn. Die Tür schwang unter ihrem eigenen Gewicht nach innen.
»Hallo?«, rief Maggie ins Haus, erhielt aber keine Antwort.
»Okay, wir machen Folgendes«, sagte Marcus. »Du setzt dich wieder ins Auto und behältst die Landstraße im Auge, ob aus irgendeiner Richtung jemand kommt. Schließ die Türen ab und halt die Augen offen. Ich schaue mich im Haus um. Wahrscheinlich ist die Frau oben und macht ein Nickerchen, aber Vorsicht kann nicht schaden. Wenn ich in fünf Minuten nicht wieder da bin oder du irgendetwas Ungewöhnliches siehst, fährst du los und rufst von unterwegs deinen Vater an.«
»Warum verständigen wir ihn nicht sofort?«
»Ich will nicht gleich die Polizei rufen, nur weil jemand nicht an die Tür kommt, wenn ich klingle«, entgegnete Marcus. »Ich sehe mich hier um. Wenn etwas nicht stimmt, können wir immer noch überlegen, was wir tun.«
»Aber was, wenn …«
»Ich bin ein großer Junge. Maggie.«
»Wenn etwas nicht stimmt, brauchst du Verstärkung.«
»Eben. Deshalb musst du dich bereithalten, deinen Vater zu rufen.«
Maggie seufzte. »Okay. Aber sei vorsichtig. Mir ist das alles hier irgendwie unheimlich.«
Marcus brachte sie zurück zum Wagen, dann stieg er wieder zur Veranda hinauf und betrat das Haus. Wachsam ließ er den Blick schweifen. Der Parkettboden war makellos sauber, kein Stäubchen zu sehen. Er blickte auf seine Schuhe. Die Sohlen hatten eine Kruste aus getrockneter Erde.
Einen Augenblick lauschte er, hörte aber nicht das leiseste Geräusch. Wie ein Schwarzes Loch, das alles verschlingt, verbreitete das Haus eine lastende, bedrohliche Atmosphäre. Noch vor wenigen Augenblicken war es Marcus als Ort des häuslichen Glücks und der Fröhlichkeit erschienen, wo Kinder im Garten spielten und frisch gebackener Apfelkuchen auf der Fensterbank abkühlte. Nun war alles finster, stumm und tot – ein düsterer Schlund, in dem schreckliche Geheimnisse zu schlummern schienen.
Eine Stimme in seinem Hinterkopf raunte Marcus zu, dass ihn etwas Furchtbares erwartete, doch eine kräftigere, überzeugendere Stimme trieb ihn an, weiterzugehen. Möglicherweise brauchte hier jemand Hilfe, noch dazu eine ältere Dame, seine Nachbarin.
»Hallo?«
Keine Antwort. Nur Totenstille.
Er rief noch einmal, lauter diesmal: »Hallo, ist da jemand?«
Nichts.
Das zweistöckige Gebäude war weiß mit schwarzen Fensterläden und wurde zur Hälfte von der Veranda umschlossen. Der Flur führte in ein geräumiges Wohnzimmer mit einem großen Panoramafenster. Vitrinen und offene Regale voller antiker Töpferwaren und Glas säumten die Wände. Links war ein halb offenes Treppenhaus, rechts schloss sich ein offenes Esszimmer wie der kurze Schenkel eines L an das Wohnzimmer an.
Marcus ging ins Esszimmer und bemerkte einen Stapel Post auf dem Tisch. Einige Sendungen waren geöffnet, zum Teil noch ungelesen.
Er schaute zur Treppe zurück und beschloss, sich im Obergeschoss umzusehen. Langsam stieg er die Holzstufen hinauf.
Oben angekommen, sah er auf der linken Seite eine geöffnete Badezimmertür. Er warf einen Blick hinein. Der Duschvorhang war zur Seite gezogen. Hier war niemand. Marcus schaute über den Flur. Am anderen Ende sah er eine geschlossene Tür, dazwischen befanden sich zwei weitere Türen. Während er sich an das Halbdunkel im Korridor gewöhnte, schien die dunkle Maserung auf der geschlossenen Tür zu wimmeln und sich zu ringeln wie Würmer in einem offenen Grab.
Die Stille war gespenstisch und schmerzte ihm in den Ohren, als er sich leise voranbewegte, wobei er sich an der rechten Wand hielt, über die immer wieder Schatten huschten, die ihn zusammenzucken ließen. Eine düstere Vorahnung überkam ihn. Hier stimmte etwas nicht, ganz eindeutig nicht. Maureen Hill hätte sich längst bemerkbar gemacht, wenn sie im Haus wäre. War sie vielleicht doch in die
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