Ich bin die Nacht
nannte Marcus die Nummer.
»Während Ihrer Vernehmung haben Sie das Recht auf die Anwesenheit eines Anwalts«, fuhr Marcus ungerührt fort. »Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen einer gestellt.«
»Dafür kriege ich Sie dran, Sie kleiner Mistkerl! Sie halten sich jetzt für den großen Helden, was? Aber wenn ich mit Ihnen fertig bin, sind Sie ohne Wohnung, ohne Arbeit und ohne einen Cent.«
»Haben Sie sämtliche Rechte verstanden, die ich Ihnen erklärt habe?«, fragte Marcus unbeeindruckt. »Möchten Sie in Kenntnis dieser Rechte jetzt mit mir reden?«
Mavros hörte ihm gar nicht zu. »Oder vielleicht hängen wir die Morde Ihnen an«, tobte er. »Dann können Sie für den Rest Ihres erbärmlichen kleinen Lebens in einer Zelle verrotten. Haben Sie gehört, Sie …« Mavros drehte sich langsam zu ihm um.
»Keine Bewegung«, sagte Marcus. Sein Finger zuckte am Abzug.
»Pass auf, Bürschchen, das geht über deinen Verstand. Ich werde nie das Innere einer Zelle sehen, das kann ich dir garantieren. Ruf deinen Chef an, das spart uns allen viel Zeit und Aufregung. Oder willst du Geld? Kein Problem. Ich gebe dir Geld. Viel Geld. Mehr, als du in diesem beschissenen Job je verdienen kannst.«
Marcus’ Gedanken überschlugen sich. Mit einem Mal kamen ihm Zweifel an dem, was er tat. Kann es mir als unangemessene Brutalität ausgelegt werden, dass ich den Kerl gegen den Zaun gerammt und ihm den Arm umgedreht habe?
Er dachte an Horrorgeschichten, in denen jemand einen anderen aus dem Auto zog, kurz bevor es explodierte, und verklagt wurde, weil der Gerettete sich dabei das Schlüsselbein brach.
Keine gute Tat bleibt ungestraft.
»Also gut«, sagte Marcus. »Rufen wir den Chef an.« Er nahm das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer, die Mavros ihm genannt hatte. Der Polizeichef kam an den Apparat. Mavros hatte die Nummer auswendig gekannt. Marcus stellte sich vor und schilderte die Situation.
Nach kurzem Schweigen fragte der Polizeichef: »Also haben Sie es noch nicht gemeldet?«
»Nein, Sir. Noch nicht.«
»Ausgezeichnet. Da sind wir ja gerade noch mal davongekommen. Es war richtig, mich anzurufen. Halten Sie sich bedeckt. Ich komme vorbei und kläre das Ganze. Sie können den Mann weiterhin mit der Waffe in Schach halten, wenn Sie wollen, aber nehmen Sie ihm die Handschellen ab, und zwar sanft.«
»Sanft? Was reden Sie da, Sir? Mir ist es egal, wer der Kerl ist. Mich interessiert nur, was er ist: ein Sexualmörder.«
»Ich weiß verdammt gut, was er ist. Ich und eine Menge anderer Leute. Aber Sie werden genau das tun, was wir alle getan haben. Wenn nicht, dauert es nicht mehr lange bis zu Ihrem Begräbnis. Haben Sie verstanden? Sie werden das Geld nehmen, das er Ihnen anbietet, und in die andere Richtung schauen. Die ermordeten Frauen waren Prostituierte. Wollen Sie für eine Nutte Ihr Leben wegwerfen? Wenn Sie der Sache nachgehen, kommt der Mann trotzdem völlig sauber aus der Sache raus, und Sie sind erledigt oder tot. Seien Sie nicht dumm, mein Junge. Sie haben gerade das große Los gezogen. Ich übrigens auch.«
»Ich will sein Geld nicht.«
»Dann lassen Sie es bleiben, verdammt noch mal, aber werfen Sie Ihr Leben nicht einfach weg. Dieser Mann steht über dem Gesetz. Wenn Sie …«
Marcus beendete das Gespräch, indem er das Handy zuklappte. Er blickte auf die Limousine. Die Frau saß auf dem Boden, an einen Reifen gelehnt. Sie hatte die Beine an die Brust gezogen, wiegte sich vor und zurück und wimmerte wie ein verängstigtes Tier. Ihre Blicke trafen sich. Noch immer stand ein Ausdruck des Entsetzens in ihren Augen, die ihn stumm anflehten, die Welt wieder zu einem sicheren Ort zu machen.
»Nur nicht den Kopf hängen lassen, Sie kleiner Scheißer«, sagte Mavros. »Gegen manche Dinge ist man machtlos. Mir kann keiner was anhaben.«
Die Stimme des Mörders klang surreal, beinahe wie aus einem Traum. Marcus wandte sich ihm zu. »Ihnen kann keiner was anhaben?«, sagte er. »Oh doch. Heute Nacht schon.«
Er hob die Waffe und jagte Mavros eine Kugel zwischen die Augen.
49.
Im Zimmer herrschte eine bedrückende Atmosphäre. Marcus wollte Maggie nicht anblicken. Er wollte ihren Abscheu nicht sehen, auch nicht ihre Furcht.
Als er sich schließlich doch umdrehte, schaute er in traurige, aber mitfühlende Augen. Er sah keinen Vorwurf und keine Verurteilung darin, wie er es erwartet hatte.
Maggie streckte die Hand aus und legte sie ihm auf den Rücken. »Was ist dann passiert?«,
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