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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Coss
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Einsamkeit hinausging.
    Marcus trank einen Schluck aus seinem Kaffeebecher und folgte weiter der dunklen Straße, wobei er versuchte, in die finsteren Ecken zu spähen. »Du bist hier irgendwo, nicht wahr?«, flüsterte er. »Habe ich recht?«
    Dann hörte er den Schrei.
    Noch nie hatte Marcus einen Schrei gehört, in dem so viel Leid und Angst lagen. Er hallte in seiner Seele wider und rief Erinnerungen an die Gesichter der Toten wach. Marcus dachte an die Opfer der Mordfälle, in denen er ermittelt hatte. Bei keinem einzigen dieser Fälle hatte es Zeugen gegeben. Anders als bei den Cops in Kriminalromanen und Fernsehserien bestand sein Job nicht aus Schießereien und Autoverfolgungsjagden. Seine Waffe hatte er nur ganz selten gezogen, und er hatte sie noch nie benutzen müssen. Doch wenn es einmal dazu kam, könnte er die Pistole mit tödlicher Präzision führen, das wusste er.
    Der Kaffeebecher fiel ihm aus der Hand, und die Flüssigkeit ergoss sich über den Gehweg. Er zog die SIG Sauer aus dem Holster, rannte in die Gasse, aus der der Schrei gekommen war, und folgte ihm bis zu seinem Ausgangspunkt.
    Die Gasse endete an einem abgelegenen Parkplatz, an dessen einer Seite sich ein verfallenes Gebäude erhob. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, und die meisten Wände strotzten vor Graffiti. Die teilweise übersprühten, verblassten Buchstaben eines schief hängenden Schildes verrieten, dass hier einmal die »Blue Oyster Bar« gewesen war.
    Marcus musterte seine Umgebung, nahm sämtliche Details in sich auf. Das Erstaunlichste war die weiße Stretchlimousine, die mitten auf dem Parkplatz stand. In diesem Viertel hätte ihn der Anblick einer fliegenden Untertasse nicht so sehr in Erstaunen versetzt.
    Von der anderen Seite des Fahrzeugs hörte er eine Männerstimme. »He, wo willst du hin? Wir sind noch nicht fertig.«
    Eine Frauenstimme rief verzweifelt: »Nein … bitte!«
    Marcus rannte los, sprintete hinter die Limousine. Ein Maschendrahtzaun grenzte die Rückseite des Parkplatzes ab. Die Frau presste sich mit dem Rücken gegen das Metall der Barriere. Sie war nackt und hatte am ganzen Körper blutende Schnittwunden.
    Marcus erstarrte. Genau solche Wunden hatte er auf den Fotos von anderen Tatorten gesehen: Der Mörder schlitzte seine Opfer mit einer Klinge auf, während er sie vergewaltigte.
    Der Mann stand nackt von den Hüften abwärts vor der Frau, in der Hand ein blutiges Skalpell.
    Heiße Wut erfasste Marcus. Ein roter Schleier legte sich vor seine Augen. Er forderte den Mann gar nicht erst auf, die Hände zu heben. Stattdessen sprang er vor, trat dem Halbnackten das Skalpell aus der Hand und schmetterte ihm den Pistolengriff in den Nacken.
    Benommen taumelte der Mann nach vorn. Ehe er reagieren konnte, schleuderte Marcus ihn gegen den Zaun und drehte ihm den rechten Arm auf den Rücken. Mit einer blitzschnellen Bewegung schloss er die Handschelle um das eine Handgelenk. Dann riss er den anderen Arm nach hinten, ließ auch die andere Handschelle zuschnappen und machte den Mann bewegungsunfähig.
    »Was tun Sie, verdammt noch mal?«, rief der Fremde. »Für wen halten Sie sich?«
    Marcus trat einen Schritt zurück und richtete die Pistole auf den Hinterkopf des Verdächtigen. Dann blickte er die Frau aus dem Augenwinkel an und fragte: »Können Sie gehen?«
    Sie antwortete schluchzend: »Ja. Gott sei Dank, dass Sie gekommen sind. Ich … ich …« Ihr versagte die Stimme.
    »Sie brauchen sich nicht mehr zu fürchten«, versuchte Marcus sie zu beruhigen. »Sie sind in Sicherheit. Ziehen Sie sich an, und setzen Sie sich hin. Ich rufe einen Rettungswagen.«
    »Dafür werden Sie bezahlen!«, keifte der Mann. »Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?«
    Marcus wandte sich ihm zu. Der Mann schien zu glauben, dass er ihn nicht erkannt hatte, aber Marcus wusste, wer er war. Der Mann hieß John Mavros.
    Senator John Mavros.
    Marcus war sich im Klaren darüber, dass er soeben einem mächtigen Politiker aus einer noch mächtigeren Familie Handschellen angelegt hatte – einer Familie, die es an Reichtum und Einfluss mit den Dynastien der Kennedys und Rockefellers aufnehmen konnte. Aber das war Marcus im Moment herzlich egal.
    »Sie haben das Recht zu schweigen«, belehrte er Mavros über seine Rechte. »Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden.«
    »Ich bin Senator der Vereinigten Staaten! Rufen Sie den Bürgermeister an. Oder besser noch, Ihren Vorgesetzten, den Polizeichef.« Er

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