Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Tochter besucht, Geschichten erzählt. Zum Beispiel die vom grimmigen König Grrr, der drei Töchter hat: die dicke Tochter Boah, die rappeldünne Tochter Tzittt und die wunderschöne Tochter Hmmm. Dann kommt der Prinz mit Ross und Heiratsabsichten und entführt Hmm nachts auf sein Schloss.
Man kennt diese Geschichten, wir haben davon auch einige in unserem Märchenbuch zu Hause, und gelegentlich lese ich daraus vor. Kann allerdings neuerdings nicht mehr damit punkten, denn Jette findet die Geschichten von Ana viel toller als die aus unserem Märchenbuch. Ich vermute, das liegt daran, dass Ana den König Grrr und seine essgestörten Mädels mit brasilianisch-wildem Augenrollen und stimmlicher Inbrunst mimt. Mir hingegen fehlt abends um acht oft die
Kraft zu solch theatralischen Gesten. Außerdem dichte ich Märchen dieser Art gerne um: Ich verheirate zum Beispiel den Prinzen nicht mit Hmmm, sondern mit Boah. Denn es kann doch nicht sein, dass der Body-Maß-Index darüber entscheidet, wer Prinzessin wird. Doch seit Jette Ana kennt, lässt sie das nicht mehr gelten. Sie sagt, das richtige Ende von dem richtigen Märchen ginge so, wie es Ana erzählt. Als Nächstes wird Jette wahrscheinlich behaupten, Ana kenne die märchenhafte Sippe höchstpersönlich vom Samba-Tanzen. Da trifft sie dann Grrr und Boah und Tzittt und Hmmm. Und wahrscheinlich auch Frau Hurrel-Heinemann und die übrigen Leute aus dem Sockelschubser-Club, wie zum Beispiel:
Sehr junge Frauen mit Besen und Bärenstärke
Neben den Sockelschubsern in öffentlichen Bildungseinrichtungen gibt es noch eine sehr aktive Gruppe: die aus Funk und Fernsehen. Meist sind das Wesen, die kaum älter sind als meine Kinder, allerdings viel stärker und unabhängiger – sie brauchen keine Mamas zum Anhimmeln, sie können alles allein. Nehmen wir nur Pippi: Pippis Mama ist dauerhaft abwesend. Und ihr ziemlich starker Papa verliert gegen sie beim Armdrücken. Wie, bitte, soll eine Mutter mit normaler Muskelkraft da noch ihren Heiligenschein zum Leuchten bringen?
Eine ernsthafte Konkurrenz ist inzwischen auch Bibi Blocksberg. Wenn ich in Jettes Zimmer gucke und sehe, dass mein Kind Jacke und Schuhe so ausgezogen hat, dass sie wie eine Art Skulptur die Kinderzimmermitte garnieren, sage ich für gewöhnlich: »Kannst du das bitte wegräumen?« Noch bis vor Kurzem hätte unser Kind gegrummelt: »Erst noch …, dann aber gleich …« Heute antwortet es mit ominösen Zaubersprüchen: »Ene, mene Katzendreck, alle Kleider sind schon weg, hex, hex!« Gucke ich fünf Minuten später ins Zimmer, liegen die Klamotten natürlich immer noch rum. Jette behauptet trotzdem, sie seien weggehext, und dass ich sie noch sehen würde, läge nur daran, dass ich keine Hexenaugen hätte. In solchen Momenten würde ich Bibi am liebsten dreimal um den Blocksberg jagen. Und ihr einen Bann an den Hals hexen: »Ene, mene, Fliegenfisch, wehe wenn du dich weiter in meine Erziehung einmischst, dann … hex, hex!« Leider hat Jette aber recht: Ich habe nicht nur keine Hexenaugen, meine magischen Kräfte sind auch sonst so unterentwickelt, dass ich es damit auf keinen Sockel schaffen würde.
Neue Väter
Eigentlich sind männliche Sockelschubser in meinem Alltag eher selten. Ich vermute, das liegt daran, dass ich zwei Töchter habe – und Fußballtrainer, Abenteuerspielplatz-Bewacher und Hockeykumpels als Identifikationsfiguren
deshalb nicht so gefragt sind. In letzter Zeit habe ich allerdings das Gefühl, dass mein eigener Mann eine potenzielle Sockelschubser-Gefahr ist. Neulich nachts zum Beispiel, als Clara mit Bauchweh aufwachte, rief sie nicht »Mama«, sondern »Papa«. Und vorgestern, als ich am Schreibtisch saß, um diesen Text zu schreiben, hörte ich, wie Jette Jochen fragte, ob er ihr ein paar Prinzessinnenzöpfe flechten könnte, denn sie wolle heute aussehen wie die wunderhübsche Tochter Hmmm vom grimmigen König Grrr.
Sie müssen zugeben, das sind dramatische Entwicklungen: Denn Bauchweh und Prinzessinnenzöpfe sind klassische Felder, auf denen Mütter ihren Heiligenschein aufpolieren können. Was, also, soll ich tun? Verzweifeln? Alten Zeiten hinterhertrauern? Partnerschaftliche Rollenmodelle hinterfragen, in denen Mütter als Jurmalistinnen Geld verdienen und Väter sich mit Bauchweh-Globuli auskennen? Nein, das werde ich nicht tun! Stattdessen pfeife ich auf meinen Heiligenschein und lade alle zu Kaffee und Kuchen ein: Kommt her, ihr Sockelschubser, und helft mir, sie
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