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Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Willers
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genau eine Zicke?«, fragte ich neulich, als das Lied zum fünften Mal lief. »Zicken lassen einen nicht mitspielen«, meinte Jette. »Sie sagen, dass die Hose, die man anhat, uncool ist«, sagte Clara. »Sie gehen zur Lehrerin und erzählen, dass wir über den Schulhofzaun geklettert sind«, sagte Jette. »Du meinst Petzen«, berichtigte ich. »Nein, Zicken«, sagte Jette. »Na gut, sagen wir Zicken, die petzen«, fasste ich zusammen. »Muss man sofort abfreunden«, sagte Jette. Oh!, dachte ich, und war froh, dass ich mich nur noch selten auf Schulhöfen rumtreibe.

    »Tussis sind aber noch schlimmer«, sagte Jette. »Tussis sind Zicken, die wollen immer schick sein und sind ein bisschen dumm.« Aha!
    Außerdem, so erfuhr ich, gebe es noch Topmodels: »Topmodels wollen immer die Allerschönsten sein und haben hohe Schuhe«, sagte Jette. »Wie Tussis also?«, fragte ich. »Nein, Topmodels haben mehr Geld und sind noch zickiger«, sagte Jette. »Aber sie sind nicht dumm. Sie gehen nämlich zur Schule – bei Heidi Klum.« Die Feinheiten wären also auch geklärt! »Gibt es auch normale Mädchen?« »Fast gar nicht«, sagte Clara. »Doch«, sagte Jette, »außer normalen Zicken gibt es noch Aniszicken. Das sind die gemeinsten.«
    Und an dieser Stelle des Gesprächs wurde mir klar: Ich habe offenbar Wissenslücken. Die Nachwuchszicken im dritten Jahrtausend scheinen eine etwas andere Prägung zu haben als die, mit denen ich großwurde. Ich habe deshalb beschlossen, mir das Phänomen mal genauer anzuschauen!

Die Zicke und ihre Verbreitungsgebiete
    Ich fasse noch mal zusammen: Es gibt Zicken, die petzen, Petzen, die zicken, Tussis, Topmodels und normale Zicken. Man findet all diese Arten und Unarten auf Schulhöfen, Kindergeburtstagen, in Ballettgruppen, Voltigier-Teams, in Schwimmbädern auf der Leiter zur Riesenrutsche. Oder vor Kinderzimmer- Kleiderschränken,
wo sie sich mit ihren Erziehungsberechtigten heftig darüber streiten, ob die wurstspellenartige Beinröhre eine adäquate Bekleidung für die Schule ist. Bis vor Kurzem nicht klar war mir allerdings, wo man die gemeine Aniszicke findet. Vielleicht im nepalesischen Hinterland? Oder auf Tasmanien? Nein, es ist so: Die gemeine Aniszicke lebt ganz in der Nähe der ebenso gemeinen Zimtzicke. Sie verbreitet sich in den Gehirnwindungen von Siebenjährigen, wenn die ein Wort hören, das sie nicht richtig verstehen, sich eine Eselsbrücke bauen (»Eklig! Gewürz! Weihnachten!«) und über diese Eselsbrücke am nächsten Tag nicht mehr auf Zimt kommen. Sondern auf Anis. Denn auch Anis kann man schließlich eklig finden und in Weihnachtskeksen. Außerdem reimt es sich – norddeutsch ausgesprochen – auf fies. Und eignet sich damit hervorragend als Zickenwürze.

Die Zicke und ihre X-Chromosomen
    Zicken haben alle eins gemeinsam: Sie sind weiblich, tragen also zwei X auf ihrer DNA. »Warum sind Mädchen eigentlich so?«, frage ich neulich Jochen, als Clara schlecht gelaunt aus dem Hof kam, weil es wieder Gezicke um die Frage gegeben hatte, wer wessen beste Freundin ist – und wer nur die zweitbeste. »Weil ihnen keiner so richtig erlaubt, ›Halt die Klappe, du nervst …‹ zu sagen und dabei mit einem Kinnhaken zu drohen«,
sagt Jochen, der als Kind in seinem Viertel durch eine harte Schule gegangen ist – und sich in seiner Weiberwirtschaft zu Hause offenbar manchmal ein bisschen danach zurücksehnt. Mein Mann vertritt damit die These vieler Geschlechterforscher, die meinen, Zickenzoff und Lästerlust sei weniger angeboren als anerzogen: Jungs, sagen sie, würden in unserer Gesellschaft eher zum offenen Kräftemessen und direkten Wettbewerb ermutigt als Mädchen: Echte Männer spielen Fußball, spucken auf den Rasen, kicken sich die Bälle zu – und nehmen sie sich wieder weg. Und dann applaudiert die ganze Südkurve!
    Bei Mädchen wird dieses Verhalten nicht so gern gesehen. Deshalb konkurrieren sie hintenrum, zicken sich an und spielen sich mit kleinen fiesen Pfeilen gegenseitig aus. Vor dem Hintergrund dieser These frage ich mich allerdings, wo Jette in den letzten sieben Jahren erzogen wurde: Sie liebt Fußball und ihre Teufelskicker. Sie flucht wie ein Seemann und scheut sich auch im Beisein großer Jungs nicht, Tacheles zu reden.
    »Wie nennt man eigentlich Mädchen, die auf Jungsart zicken?«, frage ich Jochen. »Auf Jungsart kann man nicht zicken, sonst gäbe es ja Zicker«, sagt der. Ich gucke im Duden nach: kein Zicker weit und breit! Bloß auf Seite 1096

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