Ich bin ein Mörder
den Jungen kaum, so leise und zaghaft fragte er nach.
»Selbstverständlich nehmen wir die mit!«
Sie streifte Handschuhe über. Immer noch sechs Minuten bis zur nächsten Zugeinfahrt. Sie kletterte hinunter auf die Schienen und sammelte die Dosen ein.
»Du kriegst die allerdings nicht wieder. Das Geld hast du in den Sand, um nicht zu sagen, an die Wand gesetzt!«
Ihr aufsteigendes Lachen fühlte sich fast hysterisch an. Sie schluckte es herunter. »Das ist Beweismaterial und es kann und wird gegen euch verwendet werden.«
Sie nahmen die Jungen in ihre Mitte und führten sie zum Ausgang.
»Es sind nur ein paar Meter bis zu unserem Wagen, also macht keine Dummheiten. Wir kriegen euch sowieso.« Kritisch musterte Mischa ihre Gesichter. »Wir haben es nett auf dem Revier, aber an eurer Stelle wollte ich nicht die ganze Nacht dort verbringen. Ihr könnt es leicht haben – oder schwer. Liegt nur an euch.«
Schwungvoll öffnete Alexandra die Wagentür. »Darf ich bitten! Dann sehen wir doch mal nach, was ED-Di zu euch sagt, wenn ihr nichts sagen wollt.«
Die Jungen quetschten sich auf die Rückbank des Einsatzwagens, Alexandra setzte sich ihnen gegenüber.
»Wenn ihr schon mal was verbockt habt, kriegen wir das raus. Es heißt doch, man trifft sich immer zweimal im Leben. Also, wenn ED-Di euch schon kennt …« Sie pfiff vielsagend durch die Zähne.
»Lass sie jetzt, Alexandra. Ich glaube, unsere Könige der Nacht haben die Hosen schon voll genug.«
»Aber ich habe doch recht, was ED-Di betrifft!«
Beim Blick nach hinten traf Mischa auf verängstigte Augen. »Sicher, ED-Di knackt jeden!«
Es wird euch eine Lehre sein. Reden ist immer besser. Im Rückspiegel sah er Alexandras Hinterkopf. Fast immer. Er verwarf den Gedanken an ein Gespräch mit ihr, konzentrierte sich auf die Straße und seine jämmerliche Fracht. Wenn sie nicht reden wollten, mussten sie jetzt ein paar Minuten Angst aushalten. Die schnelle daktyloskopische Identifikation über den nationalen Fingerabdruckbestand des BKA, die seit dem Frühjahr zur Verfügung stand, erfreute sich bei allen Dienststellen großer Beliebtheit. Die Abfrage innerhalb weniger Minuten machte aus dem System ED-Di einen gern gesehenen Kollegen. Den Alexandra jetzt für das Böser-Bulle-Spiel nutzte. War nicht sein Stil. Aber es funktionierte. Auf der Rückbank tuschelten sie nervös, dann herrschte bedrückte Stille.
Mischa trommelte auf das Lenkrad. Kinder. Wir jagen spielende Kinder, statt die echten Verbrecher zu fangen. Zu gerne hätte er Stockmanns Fingerabdrücke überprüft. Aber der war vermutlich zu clever, um ins System zu geraten. Dumme, kleine Jungs malten Bilder an die Wand. Andere dumme Jungs spielten im Wald mit Pistolen. Er biss die Zähne zusammen. Es half nicht.
»Sagt mal Jungs, ist euch eigentlich klar, was die Nummer für euch für Folgen haben kann?«, blaffte er aufgebracht. »Ihr müsst euch auf eine Anzeige wegen Sachbeschädigung gefasst machen. Dazu kommt Hausfriedensbruch, weil ihr auf den Gleisanlagen rumgeturnt seid. Strafrechtlich kann das eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe bedeuten. Wenn ihr Glück habt, nur Arbeitsstunden. Dazu kommt noch die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht. Da versteht die Bahn üblicherweise keinen Spaß. Das kann teuer werden. Ich verstehe das nicht, erst sprayt ihr illegale Bilder, aber dann seid ihr so eitel, dass ihr eure Signatur drunter setzt, damit jeder weiß, wer’s war.«
Alexandra hörte erstaunt zu. Es war sonst nicht Mischas Art, Vorträge zu halten. Die Jungs brachten ihn aus dem Konzept. War er wütend? Auf sie wirkte er eher verstört.
»Wenn wir mit Ihnen reden«, der Jüngste fasste sich zuerst ein Herz, »müssen wir dann trotzdem zu diesem Eddi?«
Ein pausbackiges Kindergesicht, mit wirrem blondem Schopf, nachdem er die Skimütze heruntergezogen hatte. Blaue Augen, die Mischas Blick im Rückspiegel suchten, denen er auswich.
»Kommt drauf an, was ihr zu sagen habt«, brummte er vage.
Die Ähnlichkeit mit Markus sprang Alexandra so plötzlich ins Auge, dass sie es am liebsten sofort rausposaunt hätte. Aber dies war weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort.
»Name und Adresse reichen, als erstes Zeichen guten Willens«, erklärte sie sachlich. »Dann sehen wir weiter.«
Samstag, 10. November
Der Koffer war schwerer als erwartet. Mit dem Taxi brachte er ihn zum Hauptbahnhof. Am helllichten Tag. Einmal mehr. Direkt vor Ihrer Nase, Herr
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