Ich bin ein Mörder
Kommissar. Er war der Meister und erfüllte sein Versprechen. Der Schüler hatte sich willig gefügt und seine wichtige Rolle in der Inszenierung verdient. Durch Hartnäckigkeit und Demut. Seine bedingungslose Liebe ermöglichte die perfekte Rache.
Im Koffer klebte ein Zettel mit Name und Anschrift seines Besitzers. Conrad Neumaier würde überrascht sein, wenn der Inhalt zum Vorschein kam. Überrascht und in Erklärungsnot. Dieser Tag sollte sein endgültiger Triumph sein!
Er wuchtete das Gepäckstück in das Schließfach, warf die geforderte Anzahl Münzen in den Schlitz und zog den Schlüssel ab.
»Ich habe dich in meine furchtbarste Waffe verwandelt«, flüsterte er. »Ich machte mein Ziel zu deinem Ziel.« Dürrenmatts Worte des Richters an den Henker – als letzte Huldigung.
Zweiundsiebzig Stunden. Danach wurde das Schließfach zwangsweise geöffnet, der Koffer zu den verlorenen Gepäckstücken verschoben und für weitere vier Wochen aufbewahrt. Für den Schüler spielte es keine Rolle mehr. Er hatte nun alle Zeit der Welt.
* * *
Das Klingeln war eindeutig Silke, ihr ganz spezieller Rhythmus. Wunderbar. Der Tag war gerettet. Es gab nichts Besseres, um Alexandras Laune wieder aufzupäppeln. Den halben Vormittag hatte sie nach der Schicht verschlafen. Unruhig und wenig erholsam. Mischa war bis zum Dienstende zerstreut geblieben, einsilbig ihr gegenüber. Die Sache mit Markus bedrückte sie beide. Und die Vermutung, dass Tobias daran beteiligt war, stand weiter wie eine Mauer zwischen ihnen. Spätestens Montag musste sie Mischa sagen, dass sich das Thema »Tobias« für sie erledigt hatte. Spätestens dann musste sie selbst daran glauben.
Am Mittag hatte sie mit Conrad Neumaier telefoniert. Markus verweigerte weiter jedes Gespräch und zwischen ihm und Irene herrschte offenbar auch Funkstille. Fatal. Sie brauchten einander jetzt mehr denn je, und ihr fiel nichts ein, was sie für die beiden hätte tun können. Vielleicht konnte Silke einmal mehr ihrem trägen Geist auf die Sprünge helfen.
Auf halbem Weg zwischen Küche und Sofa machte sie nun kehrt. Den Joghurtbecher in der einen, die Zeitung in der anderen Hand, bewegte sie sich zur Tür. Die Zehen mit den frisch lackierten Nägeln und den Wattepolstern dazwischen nach oben gereckt. Allein die Tatsache, dass sie seit Jahren zum ersten Mal wieder das Bedürfnis verspürt hatte, Farbe aufzutragen, sagte viel über ihren Gemütszustand aus. Auf Fersen und Ballen balancierte sie vorsichtig vorwärts. Schaukelnd, wie ein Schlachtschiff in schwerer See. Wieder klingelte es.
»Bin gleich da.« Der Löffel steckte quer zwischen ihren Zähnen, als sie mit dem Ellbogen die Klinke niederdrückte.
»Komm rein, was gibt’s?«, nuschelte sie undeutlich, ehe ihr der Löffel aus dem Mund fiel. »Du?«
* * *
Verwundert nahm Jörg die Nachricht zur Kenntnis, die über seinen Bildschirm flackerte.
»Ich habe Fehler gemacht. Bitte vergiss unseren Streit. Du warst doch immer mein Freund. Ich habe ein Geschenk zur Versöhnung. Exklusivstory. Mord. Es ist mir ernst. Ich gebe dir alle Details. Sei pünktlich. Heute 14:30 Uhr bei mir.«
Insiderinformationen von Alexandra. Das sah ihr nicht ähnlich. Aber man konnte nie wissen. Vor wenigen Wochen hatte er noch bei ganz anderen Dingen geglaubt, sie würde das nie tun. Er grinste in sich hinein. Noch eine knappe Stunde. Karin würde erst gegen Abend in Frankfurt eintreffen, um das Wochenende mit ihm zu verbringen. Er stellte den Wecker seiner Armbanduhr. Exklusivstory und Mord. Das klang vielversprechend. Ein guter Grund, überpünktlich zu sein.
* * *
Die Totenfratzen grinsten Ricky an, sobald er auf dem Sofa lag. Wenn der Mann mit dem Geld nicht bald kam, drehte er hier durch. Die Wodkaflasche glitt ihm aus der Hand. Der Inhalt bildete eine farblose Pfütze auf dem Teppich, die schnell versickerte. Mühsam schleppte er sich ins Bad. Weiße Kacheln. Wie in einer Entzugsanstalt. Er klappte den Klodeckel hoch und erleichterte sich. Verfluchter Suff. Die Stirn lehnte sich gegen die kühle Wand. Welcher Wochentag? Er überlegte krampfhaft. War heute Samstag? Ja, Samstag. Also morgen. Bis morgen durchhalten. Seine Augen suchten einen festen Punkt im schwankenden Raum. Dann hatte er eine Idee. Er vergaß, die Hose zu schließen. Mit einem Stapel Handtücher kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Ein Bild nach dem anderen wurde auf den Boden gestellt und verhüllt. Sollte der Kerl doch meckern. War ihm egal. Wenn der
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