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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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sie tief im Innern begreifen, wie unendlich frei dieser Mann ist, der, an keine Regel gebunden, von keinem Gefühl, und schon gar nicht von Mitgefühl gegeißelt, den reinen Erkenntnissen seines Geistes folgt. Kompromisslos und konsequent. Dürrenmatt hat mit dem Ansatz schon gespielt. Doch er war zu sehr der gesellschaftlich erwarteten Moral verhaftet. Vielleicht war auch nur die Zeit noch nicht reif. Und so musste er immer den Kommissar gewinnen lassen, der genau besehen nicht weniger Züge eines Monsters aufweist als sein jeweiliger Gegenspieler. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin tatsächlich ein Fan des großen Friedrich Dürrenmatt. Das meine ich ernst. Seinetwegen besuchte ich verschiedene Schweizer Kantone und sogar sein Grab. Zugegeben, ich habe es an Pietät mangeln lassen – obwohl ich weder auf sein Grab gespuckt, noch betrunken singend einen Kranz abgeworfen habe. Wer seine Bücher kennt weiß, auf welche Szene ich anspiele. Nur gelacht habe ich. Und unsinnigerweise eine Weile laut mit ihm gesprochen – zu meiner eigenen Unterhaltung und Erheiterung – der Erde, unter der er verrottet, das erzählt, was ich Ihnen gerade erzählte. Warum? Ich denke, er hätte es verstanden.«
    Er legte eine kurze Atempause ein, dann fügte er mitleidig hinzu: »Keine Angst, von Ihnen erwarte ich das nicht.«
    Jörg fuhr sich mit der Zungenspitze über die Zähne und warf dabei einen unnötigen Blick auf seine Notizen. Zeit gewinnen, runterkühlen.
    »Um auf Ihre Vorgehensweise zurückzukommen: Entspricht es den Tatsachen, dass Sie all die Orte, über die Sie schreiben, an denen die Morde spielen …«
    Ungeduldig fuhr Stockmann dazwischen.
    »Morde spielen nicht! Sie geschehen, werden verübt, ausgeführt, vollzogen!«
    »… dass Sie all die Orte, an denen Ihre Morde vollzogen werden, selbst besucht haben?«
    »All die Orte, wieder so ein unpräziser Begriff. Liegt Ihnen das Recherchieren etwa nicht? Sind Sie nur für belanglosen Smalltalk zuständig?«
    »Waren Sie jetzt dort oder nicht?«
    Die Überheblichkeit in Stockmanns Stimme war kaum zu überbieten.
    »Unnachgiebigkeit. Eine Tugend, die ich zu schätzen weiß. Sie wissen, ich habe sogar in den Vereinigten Staaten gelesen. Reisen verhelfen zur nötigen Inspiration. Die Eindrücke, die man unterwegs sammelt, beflügeln die Phantasie. Ein nettes Volk, diese Amerikaner. Aufgeschlossen, gastfreundlich. Sympathische Leute, die mir mit viel Respekt begegnet sind.«
    Jörg lachte trotzig. »Im Gegensatz zu mir? Um einen weiteren Versuch zu starten, auf den Inhalt Ihres Buches zu sprechen zu kommen: Eine Geschichte wird nur angedeutet, aber nicht zu Ende geführt, obwohl sie die Leser sicher brennend interessiert.«
    »Die da wäre?« Stockmann schnippte gelangweilt ein imaginäres Stäubchen von seiner Hose.
    »Der Mörder und der Kommissar. Woher kennen sie sich? Welche Verbindung gibt es zwischen den beiden?«
    »Der, den es betrifft, wird es wissen, wenn er das Buch liest. Außerdem sagte ich doch ganz klar: Für den Kommissar muss ich ein weiteres Kapitel schreiben, in dem alles geschrieben steht.«
    »Sie sprechen von einer Fortsetzung?«
    »Nein.«
    »Wie darf ich Sie dann verstehen?«
    »Gar nicht. Es ist nicht meine Absicht, dass Sie mich verstehen. Wie gesagt …«
    »… der, den es betrifft?«
    »Genau. Erstaunlicherweise haben Sie das begriffen.«
    Jörg klopfte mit dem Kugelschreiber ungeduldig auf seine Unterlagen. Der Gesprächsverlauf missfiel ihm.
    »Wie ich gehört habe, suchen Sie eine Bleibe hier in Frankfurt. Sind Sie bereits fündig geworden?«
    »Sie wissen nicht viel, wie mir scheint. Fragen mich nach Dingen, die Sie hätten recherchieren können, berufen sich auf Hörensagen. Entspricht es den Tatsachen, dass Sie inkompetent sind?«
    Jörg wusste, dass dies sicher noch nicht das Ende der persönlichen Angriffe war, aber er blieb professionell.
    »Wie wäre es zur Abwechslung mit einer einfachen, klaren Antwort? Ihre Fans brennen darauf, zu erfahren, wo Sie sich aufhalten. Viele hegen die Hoffnung, Ihnen persönlich zu begegnen.«
    »Ja, die Chance besteht, mich leibhaftig hier in Frankfurt durch die Straßen bummeln zu sehen.«
    »Leibhaftig. Wie passend.« Jörg verzog das Gesicht.
    »Der leibhaftige Leibhaftige? Sie halten mich für den personifizierten Satan?«
    »Habe ich nicht gesagt. Doch die Verehrung, die Ihnen einige Fans entgegenbringen, nimmt teilweise fanatische Züge an.«
    Tobias Stockmann lachte laut. »Jedem, wie

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