Ich bin ein Mörder
Probe schließlich freiwillig gegeben.«
Ein wirklicher Vorteil, der die Ermittlungen beschleunigte. Andererseits ein Pluspunkt, der Stockmann entlastete und den Neumaier ihm darum nicht gönnte. Er schob ein paar Zettel beiseite und setzte sich auf die Schreibtischplatte.
»Was ist mit dem Rest?«
Wagner spielte mit dem Kugelschreiber in seiner Hand.
»Das ist eine seltsame Sache. Ich kann mir das nicht so recht erklären.«
»Robert, was? Fakten! Keine Spekulationen.«
Draußen vor dem Fenster flog eine Krähe vorbei. Groß und schwerfällig am Boden, elegant in der Luft. Die feuchte Kälte konnte ihr nichts anhaben. Neumaier dagegen spürte den Nebel auch jetzt noch, als ob er ihm unter die Haut gekrochen und in jeder einzelnen Zelle hängen geblieben wäre.
»Die DNA konnte einem Mann zugeordnet werden, der eigentlich nicht in der Datei hätte drin sein dürfen. Darum hat das so lange gedauert. Anscheinend ist erst durch unsere Anfrage jemand darauf aufmerksam geworden und hat dann gezögert und wer weiß wo nachgefragt, ehe er uns die Information weitergeleitet hat. Der Mann ist kein überführter Täter. Irgendwer hat da einen Fehler gemacht, der nie korrigiert wurde, und Tatortspuren in die Datenbank eingespeist, die nicht hineingehören. Opferdaten.«
Neumaier zog finster die Augenbrauen zusammen.
»Gut. Ein Fehler. Was macht das schon.«
»Ein Opfer, Conrad! Wir dürfen die Daten nicht verwerten.«
Neumaiers Schildkrötenhals reckte sich aus dem Hemdkragen.
»Vielleicht nicht vor Gericht, aber jetzt, wo wir sie haben, werde ich sie nicht ignorieren! Oder ist der Kerl inzwischen tot?«
Neumaier nahm die Witterung auf. Schweißgeruch. Die Fährte war richtig, er spürte es.
»Das kann ich noch nicht sagen. Die Info kam ja gerade erst rein und ich wollte dich in Kenntnis setzen, bevor ich etwas unternehme. Noch habe ich gar nichts. Aber du weißt …«
Neumaier wischte die Einwände mit einer herrischen Geste beiseite.
»Wenn er nicht tot ist, worauf wartest du dann, Robert? Was auch immer das damals gewesen ist, ich will die Akte, die aktuelle Adresse und den Mann so schnell wie möglich auf dem Revier.«
Wenn es auch nur die geringste Verbindung zu Stockmann gab, würde er sie finden. Und wenn er den Kerl auseinandernehmen musste. Höchstpersönlich.
* * *
Sebastian Neumaier schlenderte gelangweilt die Straße entlang, dann über die Stufen vor dem Präsidium. Sechs Stufen genau, die von den sechs Parkplätzen nach oben führten, die für das 3. Revier und den KDD reserviert waren. Als er noch klein gewesen war, hatte er die Abkürzungen immer durcheinandergeworfen. KDD, KGB, KDW. Bedeutungslose Buchstaben. Tausendmal hatte ihm sein Vater erklärt, dass es da mehr als nur kleine Unterschiede gab. Später machte er sich einen Spaß daraus, sich blöd zu stellen. Natürlich hatte er längst kapiert, dass der KDD der Kriminaldauerdienst war. Die allzeit bereite Notfalltruppe, die rund um die Uhr zur Verfügung stand, wenn irgendwo ein Verbrechen aufzuklären war. Wenn er dann argumentierte, dass der Unterschied zum KGB gar nicht so groß sein konnte, weil der schließlich auch vierundzwanzig Stunden täglich im Einsatz war, flippte Conrad Neumaier schon mal aus. Der Witz kam einfach nicht rüber. Direkt gegenüber dem Eingang stützte Sebastian sich hoch auf den großen Metallkasten, der zur Straße hin den Schriftzug »Polizeipräsidium« trug. Auf der Rückseite verfügte der Kasten über einen Briefschlitz für Terminsachen. Zur Wahrung irgendwelcher Fristen. Im Schneidersitz ließ er sich nieder und starrte auf die gesichtslose Fassade.
Sein Vater fand das toll. Moderne Architektur. Alles Schrott. Kein Eigenleben, kein Gefühl. Das Gebäude strahlte nichts aus. Da nutzten auch die stilisierten Schulterklappen nichts, die man gleichmäßig verteilt an den Wänden angebracht hatte. Erkannte kein Mensch. Interessierte auch keinen. Außer seinen Vater, vielleicht. Architektenschnickschnack. Graubraunliladrecksfarbige Klinker. Wer fand denn so was schön? Er jedenfalls nicht. Sechs Stockwerke hoch. Ob das so was wie eine magische Zahl war? Sechs Stufen, sechs Parkplätze, sechs Stockwerke. Aber zwölf Fenster pro Etage, auf seiner Seite. Zwölf durch zwei, schon wieder sechs.
Es konnte nicht mehr lange dauern, bis jemand meckerte, dass er hier oben saß. Wahrscheinlich genau sechs Minuten. Aber es gab hier ja nicht mal eine Bank. Fahrradständer, unten bei den Parkplätzen, aber keine
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