Ich bin ein Mörder
der Morde im Buch geht auf einen Fall zurück, der hier in Frankfurt passiert ist. Man konnte ihn nie aufklären. Das ist achtzehn Jahre her. Ich habe versucht, aus Neumaier was rauszukriegen, aber der will nicht reden. Stockmann ist offensichtlich ein rotes Tuch für ihn.«
»Dann sind wir ja in guter Gesellschaft. Nach dem Gespräch, das ich heute mit ihm hatte, habe ich Stockmann endgültig von meiner Liste der sympathischen Menschen gestrichen.«
Mischa lachte kurz auf – etwas anderes hatte er nicht erwartet. Ihm war es nach wie vor ein Rätsel, was man an diesem Mann anziehend finden konnte.
»Vielleicht fällt mir noch ein anderer Kollege ein, der sich an die Sache erinnert, oder ich muss Staub schlucken gehen im Archiv.«
Jörg rieb sich die Schläfen, als müsse er die Erinnerung an das Interview gewaltsam aus seinem Kopf vertreiben, dann konzentrierte sich wieder auf Mischa.
»Hast du einen Namen?«
»Schön wär’s. Und einfach. Ein ungeklärter Todesfall im Sommer 1989. Ein Mann stürzt, springt, fällt vom Eisernen Steg und ertrinkt. Oder er wurde geworfen. Das ist alles. Müsstest du nicht auch davon gehört haben oder warst du damals noch nicht bei der Presse?«
»Doch war ich, aber mich hat es während des Studiums nach Berlin verschlagen. Perfektes Timing – war life dabei, als die Mauer fiel. Da war ich geistig ganz weit weg von Frankfurt. Aber ich werde mich in der Redaktion mal umhören.«
Jörg schnippte mit den Fingern, hob das leere Glas und zeigte dem Mann hinterm Tresen den Wunsch nach doppeltem Nachschub an.
»Fahren sollte ich nachher besser nicht mehr.«
Er schlürfte geräuschvoll den letzten Rest Schaum. Mischa verstand den Wink.
»Ich fahre auch nicht mehr. Vergiss es. Du musst dir ein Taxi rufen oder mit der U-Bahn fahren. Im Notfall bleibt dir später noch der Nachtbus.«
»Nachtbus?« Jörg schüttelte sich angeekelt. »Das ist was für Mädchen! Weißt du, was dir fehlt, Mischa? Ein gewisses Maß an Leichtigkeit und Spontaneität! Mal einen zu viel zischen und dann trotzdem fahren. Oder zumindest jetzt mal so tun, als wäre das eine Option. Aus dem Bauch heraus leben. Nicht immer so weit vorausdenken!«
Mischas Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Spontaneität. Dazu fiel ihm einiges ein. Spontan hatte er mit fünfzehn eine Spritztour mit dem Auto des Nachbarn gemacht und war nur mit viel Glück einer Anzeige entgangen, nicht aber dem Zorn seines Vaters. Spontan entschied er sich am Ende einer ähnlichen Nacht wie dieser für ein Tattoo. Spontan offenbarte er sich der Liebe seines Lebens, spontan machte er einer anderen einen Heiratsantrag. Spontan hätte er vor wenigen Tagen einem gewissen Stockmann gerne die Nase gebrochen. Die Liste seiner spontanen Handlungen mit schmerzhaften Folgen ließ sich beliebig verlängern.
»Scheiß drauf«, murmelte er. Spontan leerte er das neue Glas, das Jörg ihm reichte, ohne abzusetzen.
* * *
Tobias stand hinter Alexandra in der Schafzimmertür.
»Du fürchtest dich nicht mehr vor dem Bild?«
»Nein.«
»Fürchtest du dich vor mir?«
Sie fühlte seinen Atem in ihrem Nacken.
»Willst du das denn?«
»Vielleicht solltest du.«
»Wieso?«
»Ich bin ein Mörder, schon vergessen? Ich könnte es wieder tun. Ich könnte dich töten.« Bedächtig schob er sie vorwärts zum Bett.
»Das glaube ich nicht.«
»Warum? Weil du mir etwas bedeutest?«
Er streifte die Bluse über ihre Schultern, drücke sie sanft in die Kissen.
»Liege ich da so falsch?«
Er strich ihr die Haare aus der Stirn. »Du liegst hier genau richtig. Aber was das Töten betrifft … Sei dir nie zu sicher. Das könnte mich herausfordern.«
Sie beobachtete, wie er sein Hemd öffnete und zu Boden fallen ließ.
»Du meinst, du könntest es tun, nur um mir zu beweisen, dass ich unrecht hatte?«
»Ist doch ein passabler Grund. Finde ich.«
Er zog mit einem kräftigen Ruck den Gürtel aus der Hose, legte sich neben sie, feinen Spott in den Augen.
»Du spinnst, Tobias. Absolut und total. Aber vielleicht ist es genau das, was ich will.« Sie berührte seine Nase, die Wange, die sich in die Handfläche schmiegte.
»Dass der Verrückte dich umbringt? Nervenkitzel bis in den Tod?«
»Nein! Dir verfallen bis in den Wahnsinn. Weil das normale Leben zu langweilig ist.«
Er knabberte an ihrem Ohr.
»Warum geschieht der erste Mord in Frankfurt?« Unvermittelt wechselte sie das Thema.
»Warum nicht?« Seine Zähne hielten sie fest.
»Nein, nein. Mach es dir
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