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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Steinlechner
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Leuchtturmwächter! Er musste nachts im Leuchtturm arbeiten und war deshalb so selten einen trinken! Gestern hatte er frei. Heute Nacht würde er also wieder im Turm sein und das Leuchtfeuer bedienen, das die Seefahrer vor der zerklüfteten, bretonischen Küste warnte. Er würde heute Nacht dort oben sein. Allein!
    Julie trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Dann wendete sie den Wagen und fuhr ins Dorf zurück. Als sie am Hotel vorbeifuhr, sah sie nicht einmal hin.
    Sie fand den Weg leicht. Gleich hinter der Ortseinfahrt führte ein schmaler, unbefestigter, von Gras und Kraut fast zugewucherter Weg hinauf zum Hügel, auf dem der Turm emporragte. Es waren nur wenige hundert Meter. Der kleine Peugeot schlingerte über das feuchtglänzende Gras. Weiter oben schützte rechts vom Pfad ein undurchdringliches, mannshohes Gestrüpp aus wildem Stechginster vor dem scharfen Meereswind, der vom Atlantik herüberwehte. Hinter diesem Gestrüpp parkte Julie den Wagen, zwischen zwei besonders dichten Büschen, durch die sie unbeobachtet hindurchspähen und den Weg bis zum Dorf unter Beobachtung halten konnte.
    Es dauerte lange, bis die kalte Herbstsonne über den Himmel gekrochen war und die Dämmerung hereinzubrechen begann. Nach einer halben Stunde begann ihr langweilig zu werden. Sie stieg aus, zündete sich eine Gauloise an und ging hinter den Büschen unruhig auf und ab. Als es immer dunkler wurde, setzte sie sich wieder in den Wagen und dachte nach. Nur wenige Sekunden später, und sie wäre letzte Nacht gekommen, dachte Julie. Nur wenige Sekunden! Urplötzlich wurde ihr heiß und sie verscheuchte schnell den Gedanken. Sie verschränkte die Arme, lehnte sich weit auf ihrem Sitz zurück und wartete auf den Fremden. Ob sie ihn im schwächer werdenden Licht überhaupt erkennen würde? Aber als der Rand der Sonnenscheibe den Horizont zu berühren begann, da erkannte sie ihn. Erst klein und aus weiter Ferne, dann immer deutlicher zu sehen, ging der Leuchtturmwächter mit langen Schritten auf den Turm zu. Ihr Herz krampfte sich zusammen, die Röte schoss ihr ins Gesicht. Immer wieder griff sie sich an die Brust und tastete nach dem langen Messer.
    Er trug eine blaue Jeans und eine graue, dicke Jacke mit hochgeschlagenem Kragen. Die Fäuste hatte er in den Taschen vergraben. Es war bitterkalt und windig. Den Blick starr geradeaus gerichtet, ging er an dem Stechginster vorbei. Julie hielt vor Anspannung die Luft an, aber er bemerkte ihren Wagen nicht. Dann erreichte er die flachen Stiegen vor dem Turm, stieg behände empor und holte ein Schlüsselbund aus seiner Tasche. Bis durch ihre geschlossenen Wagentüren hindurch hörte Julie das metallene Kreischen der rostigen Tür, als er sie öffnete und hineinschlüpfte. Dumpf fiel sie hinter ihm ins Schloss.
    Mit klopfendem Herzen wartete Julie weiter. Sie musste sich weit nach vorn beugen, um durch die Frontscheibe die Spitze des Leuchtturms sehen zu können. Die sterbende Sonne schickte ihren letzten Strahl über die karge Küste, da flammte das Signalfeuer des Leuchtturms hoch über ihr auf. Es warf einen gleißenden Lichtstrahl viele Kilometer hinaus über das weite Meer. Der Leuchtturmwächter hatte mit seiner Arbeit begonnen. Nach fünf Sekunden erlosch das Licht für kurze Zeit, um gleich darauf wieder aufzuleuchten. In diesen Intervallen würde es weitergehen, bis zum frühen Morgen, wenn die Sonne wieder erwachte.
    Julie tastete nach dem Messer und öffnete die Wagentür. Als nach weiteren Sekunden das Leuchtfeuer von neuem entflammte, hielt sie in ihrer Bewegung kurz inne. Dann stieg sie aus dem Auto. Sie wagte es nicht, die Wagentür hinter sich zuzuschlagen, aus Furcht, jemand könnte es hören. Er könnte es hören.
    Erst langsam, mit furchtsamen, kleinen Schritten, dann immer schneller und entschlossener, schritt Julie aus, bis sie die schmalen Metallstiegen erreichte. An der rostfleckigen Tür verharrte sie einen Augenblick und atmete tief durch, dachte noch einmal über ihren Plan nach. Bedächtig öffnete sie die schwere Eisentür und huschte in den dunklen Treppenaufgang.
    Drinnen war es stockfinster. Es roch nach Öl, Eisen und brackigem Meerwasser. In den fünf Sekunden, in denen das Leuchtfeuer brannte, sah Julie in dem dünnen, von oben einfallenden Licht die Stufen vor sich. Sie waren steil und alt. Ihre Kanten waren abgewetzt und bröcklig, die engen Betonwände drängten sich um sie. Julie fror. Dann stieg sie die endlos erscheinende Wendeltreppe

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