Ich Bin Ein Schwein
Quellekatalog. Mir gelingt das nicht. Nichts, was ich dagegen unternehmen könnte. Bei mir bleiben die Spuren auf der Haut zurück.
„Sieh doch mal“, entgegnet sie, als wäre es eine Antwort auf meine Bemerkung, und fährt mit ihrem Finger ein wenig zu langsam durch die Flamme. Sie lacht und streicht eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Alle Bezüge zu meinem Leben verwischen, bis nichts mehr bleibt, nur die Sehnsucht, diesen Ort nicht mehr zu verlassen. Alle Versuche, einen solchen Raum künstlich zu erzeugen, sind fehlgeschlagen. Ich weiß bis heute nicht, ob das an ihr oder den Details ihrer Küche liegt, die ich heimlich vermessen habe. 3,32 Meter in der Breite und 4,12 Meter in der Länge. Die Wände sind von der Spüle aufwärts in einem Türkisgrün gekachelt, unterhalb dieser Höhe weiß getüncht. Laura hat in die Kacheln präzise Bohrlöcher für weiße Winkel angebracht. Die tragen jetzt ein Kiefernholzbrett, auf dem die blauen Denbytassen, aus denen wir gerade Tee trinken, sonst platziert sind. Außerdem stehen dort ihre bauchige Teekanne, ebenfalls in Blau, und sieben einheitliche Saftgläser, die sie aus der Schulcafeteria entwendet hat. Das achte fehlt noch. Auf der Arbeitsplatte steht der Edelstahltoaster direkt neben dem Edelstahlwasserkocher, der die Form eines Teekessels hat. Der Raum ist erfüllt von Rosenduft.
Rosen, die sie sich beim Blumenhändler direkt neben Penny immer selber kauft. Aber nur im Herbst und im Winter, denn solange es eben möglich ist, zieht sie Tulpen vor. Am liebsten sind ihr die Papageientulpen, die an den Blütenrändern so leicht ausfransen. Trotz ihres Namens und ihres bunten Auftrittes verbergen sie eine Melancholie, wie sie nur jene Leute beherrschen, die nichts von sich preisgeben werden, jedenfalls nichts Wesentliches oder nichts, was sie nicht doch wieder zurücknehmen könnten.
„Wie geht es eigentlich Maria?“, frage ich so beiläufig wie möglich.
Laura kennt Maria schon ewig. Wir sind mal zusammen zu einer Veranstaltung nach Berlin gefahren, auf der wir alle kellnern mussten. Laura, Maria und ich. Die beiden saßen vorne und hörten Musik, die ich nicht kannte, zu der sie lauthals sangen. Wir fuhren in der Nacht zurück. Sie hatten die Fenster heruntergekurbelt, durch die der kalte Wind hereinströmte. Ich fror, beschwerte mich aber nicht, beobachtete nur stumm die Autos, die an uns vorüberzogen und Leuchtspuren hinter meinen Lidern zurückließen.
Lauras Gesicht färbt sich weiß, ihre Mimik gefriert. Lange erwidert sie nichts.
„Wir sehen uns nicht mehr. Ihre Mutter hat sich umgebracht, da war sie vierzehn. Aber jetzt sind wir älter. Ich bin nicht ihre Mutter, weißt du.“
Begierig zieht sie an ihrer Zigarette.
Ich verstehe das alles nicht, ich kenne ja auch Maria kaum, deshalb schweige ich. Laura drückt ihre Zigarette aus und greift über den Tisch nach meiner Hand. Als sie aufsteht, ist es eigentlich schon zu spät. Draußen läutet eine schwere Glocke den Abend ein. Der Staub, der in der Luft hängt, wirbelt auf und flirrt um uns herum wie kaum sichtbare Lebewesen, die nicht ins Gewicht fallen, außer in jenen Minuten wie diesen, in denen keine Wahl offen bleibt, will man in der Zeit nicht verloren gehen.
Wie unter Hypnose stehe ich auf, will meine Tasche greifen und zur Tür gehen, aber die Hände, die einmal mir gehörten, tasten ins Leere. Laura fährt durch meine Haare, dann über mein Gesicht. Trotz des gleichmäßigen Ratterns der Nachtspeicherheizung fühlen sich meine Füße taub vor Kälte an, besonders jetzt auf den Küchenfliesen.
Ich friere eigentlich immer, obwohl ich nicht so zart gebaut bin wie Laura, deren Knochen sich deutlich unter dem schwarzen Langarmbody abzeichnen.
„Komm“, sagt sie und leitet mich an der Hand in ihr Zimmer.
Über ihrem Bett leuchtet die Lichterkette. Kleine Lampions hinter Reispapier, auf denen Kinder abgebildet sind, die sich küssen. Dem Mädchen sind Schmetterlingsflügel gewachsen, der Junge gleicht eher einer barocken Putte. Sie entzündet zwei Kerzen, die auf ihrem Fensterbrett direkt neben der Passionsblume stehen. Lila Blüten, die sich schwerfällig gen Boden neigen, als hätten sie zuviel Sommer gekostet.
„Die sind müde“, flüstere ich und deute auf die Pflanze.
„Vielleicht“, sagt sie und führt mich zu ihrem Bett.
Lauras Zimmer liegt zur Fischersallee raus. Es ist keine stark befahrene Straße, nur ein Nebenarm zu den Ottenser Ladenzeilen. Sie führt direkt zum
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