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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Steinlechner
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stellen das Radio im Sprinter auf volle Lautstärke. Ein Umzug wie eine Party. Die Sonne knallt vom Himmel, der erste Sommertag im Mai, es wird sicher wieder kalt werden. Aber Umzüge dieser Art finden statt, wenn andere das erste Eis beim Italiener essen oder Spaziergänge am Elbstrand machen.
    Leute wie er spazieren nicht. Sie sind ständig unterwegs, sie haben ein Ziel vor Augen oder eine Aufgabe zu erfüllen. Wenn sie ausruhen, dann bewegen sie sich gar nicht. Sie liegen auf Handtüchern am Elbstrand oder im Bett mit der Freundin, während sie duscht oder Kaffee kocht, dann haben sie Sex, wie eine Zugabe, ein bisschen Sahne auf dem Kaffee. Gegen drei oder vier geht sie in ihre Wohnung, er steht langsam auf, um sechs kommen seine Kumpels, dann trinken sie Bier aus Flaschen, manchmal Wein, rauchen Zigaretten und öffnen die Fenster zur Straße hin. Sie nehmen am Leben teil, das draußen vorbeizieht, bis sie älter werden und nicht mehr wissen, was jetzt zu tun ist.
    Ich halte mein Fernglas auf sein Gesicht, als er allein vor dem entladenen Sprinter steht. Die Freunde feiern in der Wohnung weiter. Er zündet sich eine Kippe an, stellt das Radio aus. Eine Weile steht er unbeweglich, während ich versuche, sein Gesicht scharf zu stellen. Das Grinsen verschwindet, kleine Falten ziehen sich um die Augenränder, im landläufigen Sinne ist er sogar attraktiv. Er sieht zum Himmel, kneift die Augen zusammen, die Sonne blendet noch, es ist beinahe fünf. Er schließt die Türklappen des Wagens, steigt ein. Der Motor rattert, der Sprinter setzt sich in Bewegung.
    Ich stelle den Wein zur Seite. Meine Wangen glühen, die Hände suchen nach Beschäftigung. Auf dem weißen Tisch liegt das Päckchen, das ich im Teeladen gekauft habe. Meine Hände reißen das blaue Papier mit den grünen Streifen. Eingewickelt in Packpapier fühle ich ihre Trichterform. Ich löse den Streifen Tesafilm, fühle glatte Kälte in meinen Händen. Ihr Anblick überzeugt mich. Blaue Denbytassen. Es hat zwei Wochen gedauert, ehe sie geliefert werden konnten. Ich stelle beide auf den Tisch neben mein Bett, schließe die Vorhänge, entkleide mich.
    Martin Talbach
steht auf seinem Klingelschild. Ich leuchte es mit meiner Taschenlampe an, ehe ich die Haustür öffne. Ich will kein Aufsehen erregen. Mit meiner Miniaturlampe bahne ich mir den Weg über die wenigen Stufen zu seiner Eingangstür. Die Schlüssel greifen wie erwartet. Im Flur stolpere ich fast über seinen Anrufbeantworter. Ich betätige den Lichtschalter, ziehe Schuhe und Jacke aus, lausche. Voraussichtlich werde ich Zeit haben. Martin verlässt jeden Tag um 22 Uhr die Wohnung. Er trägt seine Kamera an einem Band um die Schulter, wirft seinen kleinen Koffer neben sich auf den Autositz. Woche für Woche die gleichen Abläufe. Vor vier Uhr am Morgen ist er noch nie zurückgekehrt, nur einmal, das war ein Samstag, da hatte er eine Frau dabei. Um zwei Uhr stöhnte sein Motor, später das Klappern ihrer Absätze auf dem Asphalt.
    Der cremefarbenene Teppichboden ist stellenweise dreckig. Schmutz, der sich in die Poren wie ein Muster eingefräst hat, der ihn jetzt markiert und ausweist. Ein großer Spiegel mit Stahlrahmung und glänzende Haken, auf die ich meine Jacke hänge. Spots an einem Metallbogen bestrahlen den Flur wie Scheinwerfer. Ich lösche das Licht und schalte die Taschenlampe an. In der Küche, neben dem Eingang zum Badezimmer, steht ein riesiger Kühlschrank. Ich öffne ihn und finde nichts als ein paar schimmlige Erdbeeren im Gemüsefach, ein Glas eingelegte Gurken, zwei Piccoloflaschen Sekt und einige Dosen Bier. Ein angegliederter Gefrierschrank fasst zwei Tiefkühlpizzen Tomate-Mozzarella, und auf meinen Tastendruck hin stellt das Gerät zerstoßenes Eis her. Ich setze mich auf einen schwarz lackierten Barhocker, werfe Schlaglichter mit der Taschenlampe. Wieder und wieder tasten meine Augen die Küche ab, ein unablässiger Versuch, das Bild, das sich mir entzieht, zu orten und zu speichern.
    In der Ecke neben der Terrassentür hat Martin seine Arbeitsutensilien gelagert. Ein Stativ steht aufgebaut. Ein brauner Fotokoffer, Behälter mit Chemikalien und Boxen mit Fotopapier drängen sich durcheinander. Ich sitze noch einige Zeit regungslos, beobachte nur das Aufleuchten meiner Lampe, die auf Knopfdruck versiegt und den Raum in Dunkelheit hüllt. Geheime Zeichen ohne Bedeutung und Absender.
    Später erst bemerke ich die kalten Füße und Zehen, bewege sie auf und ab, reibe die

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