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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Steinlechner
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lauerten überall Versuchungen: schöne, alte, benutzte und neue; in allen Farben und Ausführungen. Er war von Verlockungen umgeben, sie raunten in ihrer eigenen Sprache, flüsterten ihm Liebkosungen und Versprechen zu, die sie nicht hielten.
    Marcello atmete tief aus, während er all seine Erinnerungsstücke betrachtete. Es war ein sirenengleicher Singsang, mit dem jede einzelne von ihnen um seine Aufmerksamkeit buhlte. Zu sehr waren sie vernachlässigt, zu sehr zu einem Accessoire degradiert worden.
    Manche von ihnen waren stolz von ihren Besitzerinnen hofiert worden, andere hatten bereits ein langes Leben gelebt und an Aussehen verloren, aber an Charakter gewonnen. Das waren die, die Marcello am liebsten hatte. Sie sagten am meisten über die Persönlichkeit ihrer Trägerin aus. In irgendeiner dieser Taschen würde die Offenbarung auf ihn warten – in der perfekten Tasche der perfekten Frau. Er musste sie nur finden.
    Mit diesem, in Anbetracht der vielen bereits gestohlenen Taschen, wenig tröstlichen Gedanken, wurde ihm klar, dass er wieder auf die Suche gehen musste. Ein neues Opfer, eine alte Tasche!
    In einer Mischung aus wohlvertrauter Aufregung, sinnlicher Erregung und einem Ziel vor Augen, von dem er keine klare Vorstellung hatte, zog er sich erneut an und verließ seine Wohnung.
    Ihre Nerven waren angespannt. Ihr Körper stand unter Strom. Jeder Muskel schien ein Eigenleben entwickelt zu haben, verlangte danach, benutzt zu werden und zu arbeiten. Doch sie musste jetzt ruhig bleiben, entspannt wirken. Marion sah auf die Uhr.
    Ihre erzwungene Ruhe verstärkte die Aufmerksamkeit, mit der sie jede Einzelheit des Treibens um sich herum wahrnahm: Eine Mutter, die einen Kinderwagen schob, während das kleine Mädchen mit den lustigen Zöpfen neben ihr herging. Beide wirkten so zufrieden. Es versetzte Marions Herz einen ersten Stich. Ein zweiter traf sie, als sie den schmalen, silbernen Ehering an der Hand der Frau erkennen konnte. Die Fremde half ihrer Tochter lachend in den Buggy.
    Marion sah den beiden nach, bevor sie wieder auf die Uhr blickte. Zu spät! – Schon wieder!
    Seit Tagen wartete Marion. Auf demselben Platz. Zur selben Zeit. Wenigstens hatte sie seit einigen Minuten die Gewissheit, dass das Warten bald ein Ende haben würde.
    Sie war versucht die Augen zu schließen, ihr Gesicht zur Sonne zu wenden, die Nachmittagsstrahlen einzufangen, für den nächsten Schlechtwettertag. Für wenige Sekunden gab sie der Verlockung nach.
    Er hatte sie sofort gesehen. Der sanfte, warme Wind bauschte ihr blaues Kleid auf, gab ihre schlanken Fesseln preis, braungebrannt und durchtrainiert. Sie war anders als seine typischen Opfer. Sportlicher, entschlossener. So, als spiele sie lediglich das wehrlose Weibchen. Eine Rolle, die ihr nicht zu gefallen schien, ihn aber anlockte. Sie hielt ihre Tasche wie einen heuchlerischen Liebhaber, auf den es aufzupassen galt. Eng an sich gepresst, dicht an ihrem Busen, zu einem großen Teil von ihrem Arm geborgen und vor der Welt versteckt. Ihre bloße Haut schmiegte sich an das blaue Leder, welches hervorragend zu ihrem Kleid, ihren Schuhen und ihrer Augenfarbe passte.
    Ihm gefiel die Art und Weise, wie sie ihre Umgebung taxierte, Menschen einschätzte.
    Sie erinnerte Marcello an sich selbst: daran, wie er Frauen anhand ihrer Taschen kategorisierte und sein Urteil durch einen Diebstahl bestätigte. Nicht einmal hatte er sich getäuscht, nicht einmal eine Überraschung erlebt.
    Als die Brünette schließlich um die Ecke bog und mit forschen Schritten den Platz überquerte, war Marions Stimmung umgeschlagen.
    „15.00 Uhr!“, fauchte sie. „Mein Dienst endet um 15.00 Uhr, nicht um 15.15 Uhr!“
    Ihre Kollegin ließ sich weder Schuldbewusstsein noch Verärgerung anmerken, ihr Blick wanderte stattdessen prüfend über Marion: „Wo ist deine Tasche?“
    „Meine …?“
    Marion verstummte, als sie das Fehlen bemerkte.
    „Verdammt.“
    Mit einem Fluch auf den Lippen sah sich die junge Polizistin um und prüfte, ob sich jemand auffällig – zu schnell oder zu hektisch – bewegte. Ihre Kollegin griff inzwischen zum Handy und erstattete Bericht.
    Marion starrte die Menschen an, die eben noch zufällig und ungezwungen über den Platz geschlendert waren. Jetzt schienen ihre Bewegungen enigmatisch, ihre Handlungen kryptisch. Jeder Einzelne schien verdächtig, ohne dass sie einen konkreten Grund hätte nennen konnte.
    Die Worte ihrer Kollegin bekam sie nur aus der Ferne mit, zu sehr

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