Ich bin eine Nomadin
Ehefrauen seien, würde er uns zur Königin erheben. Wenn wir den Weg durch die Wüste fänden, indem wir dem Wind lauschten, würde er sich auf uns verlassen können. Wenn wir muqmad kochen konnten – getrocknetes Fleisch, das, in feine Streifen geschnitten, stundenlang in Öl gegart und mit Datteln vermischt wird –, das auch in der heißesten Sonne nicht verdarb, würde er uns für alle Zeit ehren.
Dabei hatten wir einen Kühlschrank.
In jeder Kultur gibt es den »Las-Vegas-Moment«, in dem das elektrische Licht angeht. Dieses Phänomen gleicht dem, was das wahre Las Vegas für den Westen ist: ein Ort, an dem der Mensch die Fesseln der traditionellen Moral und Werte abwerfen und sich stattdessen dem Glücksspiel und der Fleischeslust hingeben kann. Er kann das insgeheim tun und sich anschließend wieder in die Ehrbarkeit der eigenen vier Wände zurückstehlen. So ein Las Vegas der grellen Neonlichter und der modernen Versuchungen, das in allen Kulturen existiert, können die Stammesältesten und Moralhüter nicht überwachen, weil sich seine Ausstrahlung ihrem Verständnis entzieht. Dieser Kontakt mit der Moderne ist ein tödlicher Schlag gegen ihre alte Kultur und Lebensweise.
Kultur ist angesammelte menschliche Erfahrung, eine Anatomie von Hindernissen und Techniken zur Überwindung dieser Hindernisse. Sobald die traditionelle Kultur mit der Moderne in Kontakt kommt, bricht sie zusammen. Denn als Nächstes folgen Radio, Fernsehen und Waschmaschine, Neonlichter, Mobiltelefone und neue Straßen und ersetzen die Geschichten der Großmütter und der Ältesten – die Geschichten, die zuvor die Menschen zusammengeschweißt hatten.
Als meine Großmutter das Nomadenleben ihres Clans hinter sich ließ und in die Stadt zog, verlor das Geschichtsbuch, das sie in sich trug – das Archiv aus Gedichten und überliefertem Wissen, das Museum ihrer Fertigkeiten –, für ihr und unser Leben schlagartig seinen Nutzen.
Sie merkte, dass die Moderne kein überwachter Bezirk ist, den man besuchen und wieder verlassen kann; man kann nicht einfach in seine Welt zurückkehren und um Vergebung bitten. Die Moderne ist vielmehr ein Dauerzustand, der die bisherige Perspektive vollständig ersetzt. Man kann dagegen ankämpfen, aber man kann sie nicht aufhalten. Die Moderne saugt die Nachkommen auf.
Der Übergang von einer vormodernen Gesellschaft in die moderne Welt ist schmerzhaft. Man kann die Assimilation aufschieben, doch irgendwann muss es geschehen. Ein Aufschub bringt nichts als Probleme, denn wer den Übergang verpasst hat, kann auch nicht einfach mit dem traditionellen Leben fortfahren. Die alte Welt ist dahin.
In der westlichen Welt gibt es unzählige Universitätsfakultäten, Publizisten und Intellektuelle, die sich mit der Vielfalt von Minderheitenkulturen befassen und den Respekt vor ihnen einfordern. Sie haben handfeste Interessen – ein Lehrstuhl oder Fördergelder für eine Publikation –, deshalb sind Minderheiten, die irgendwo zwischen ihrem ursprünglichen Lebensstil und der Zivilisation festsitzen, buchstäblich eine Einnahmequelle für diese Kommentatoren und Apostel der Vielfalt. Leider lässt sich die Traumwelt des traditionellen »Utopia« durch die Glorifizierung und Bewahrung der alten Kulturen nicht wiederherstellen. Vielmehr wird den Minderheiten dadurch die Zivilisation noch länger vorenthalten, und man reduziert sie zu Objekten eines gönnerhaften und falschen Mitleids.
Mit Assimilation meine ich die Anpassung an die Zivilisation. Aborigines, Afghanen, Somalis, Araber, Indianer – all diese nicht der westlichen Moderne zugehörigen Gruppen haben den Übergang vollzogen. In meiner Kindheit in Somalia sprachen wir vom Unterschied zwischen miyé und magaalo. Im ländlichen, traditionellen miyé ist das Leben vorhersehbar, sind die Rollen für Männer und Frauen festgelegt, überwiegend mit dem Ziel, den Lebensunterhalt zu bestreiten, Nahrung zu beschaffen und zuzubereiten, Kinder zur Welt zu bringen und großzuziehen, religiöse Rituale zu vollziehen. Die Gemeinschaft ist wichtiger als die Wünsche des Einzelnen, seine Laster und Tugenden, Leidenschaften und Sehnsüchte. Jahrein, jahraus gleicht ein Tag dem anderen. Gestört wird das Gleichgewicht des miyé nur durch Naturkatastrophen, Dürreperioden, Kriege und Eroberungen, mit denen man allerdings auf alte, überkommene Art umgeht. Sie sind Teil des kosmischen Plans, den alle akzeptieren, inshallah .
Der große Zerstörer des miyé ist der
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