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Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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Jacke von der Person getragen worden, nach der sie so dringend suchten.
    Pater McKeans verzweifelte Stimme ließ sie bei dieser Analyse bewusst unberücksichtigt, obgleich sie ihr immer noch in den Ohren klang.
    Es hat mit diesen Explosionen zu tun, Gott möge mir verzeihen …
    Sie wusste nicht, was sie erwartete. Doch sie konnte es kaum erwarten, es zu erfahren.
    Die Zeit raste dahin, und sie, Vivien, schien nicht vom Fleck zu kommen. Sie versuchte noch einmal, Russell anzurufen. Nicht weil sie es unbedingt wollte, sondern um sich die Zeit zu vertreiben, redete sie sich ein.
    Nichts.
    Das Handy war ausgeschaltet, oder Russell ging nicht dran. Vivien überließ sich ihren menschlichen Schwächen und gestattete sich die Vorstellung, woanders zu sein, mit ihm, an irgendeinem Ort, den der Widerhall der Welt und die Schreie der Opfer nicht erreichten. Die Hitze des Verlangens durchfuhr sie, und sie schalt sich dafür, aber immerhin war es seit langem das erste Zeichen dafür, dass sie noch lebte.
    Als sie auf den Kiesweg einbog und nach ein paar Kurven das Dach des Joy vor sich sah, packte sie plötzlich die Angst. Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was Pater McKean ihr mitzuteilen hatte. Sie verlangsamte das Tempo, um nicht in einer Staubwolke auf den Hof zu fahren. Der Priester wartete am Rande des Gartens auf sie, ein schwarzer Fleck vor dem Grün der Vegetation und dem Blau des Himmels. Er trug seine Soutane, das lange Gewand der Geistlichen, welches sie mittlerweile in bestimmten Situationen gegen bequemere und modernere Kleidung eintauschen durften. Als Vivien aus dem Auto stieg, dachte sie, dass es mit seiner Entscheidung, heute die Soutane zu tragen, eine besondere Bewandtnis haben musste. Vielleicht hatte er das Bedürfnis, sich seiner Identität zu vergewissern, und tat es nun mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.
    Sobald sie in seine Nähe kam, sah Vivien, dass sie mit ihrer Vermutung richtiglag. Die Augen des Mannes, der ihr gegenüberstand, waren erloschen und ruhelos. Von der gewohnten Vitalität und Güte war keine Spur mehr zu erkennen.
    » Gott sei Dank, dass du da bist.«
    » Was gibt es denn so Dringendes, Michael? Was ist los mit dir?«
    Pater McKean blickte sich um. Zwei Jugendliche reparierten weiter hinten im Garten einen Zaun. Ein dritter stand dabei und reichte ihnen die erforderlichen Werkzeuge.
    » Nicht hier. Komm mit.«
    Er führte sie zum Haus. Als sie drinnen waren, öffnete er eine Tür neben dem Büro und betrat den Raum, der als Krankenzimmer diente.
    » Komm hier herein. Hier stört uns niemand.«
    Vivien folgte ihm. Das Zimmer war ganz in Weiß gehalten. Die Wände waren weiß, die Zimmerdecke ebenfalls, und auch die Metallliege, die rechts an der Wand stand, war mit einem weißen Laken bedeckt. Der alte Krankenhausparavent, der in der Ecke stand, war restauriert und mit weißem Stoff bezogen worden. Sogar der Arzneischrank an der Wand gegenüber hatte diese Farbe. Das Gewand des Geistlichen stach hervor wie ein Tintenfleck im Schnee.
    Pater McKean blieb vor Vivien stehen und hatte zunächst nicht die Kraft, ihr in die Augen zu schauen.
    » Vivien, glaubst du an Gott?«
    Vivien fragte sich nach dem Sinn dieser Frage. Sie glaubte nicht, dass er sie so dringend hergerufen hatte, um ihr ein Bekenntnis zu ihrem Glauben abzuverlangen. Wenn Pater McKean eine solche Frage stellte, musste das einen Sinn haben, davon war sie überzeugt.
    » Trotz meines Berufs bin ich eine Träumerin, Michael. Das ist das Höchste, was ich mir erlauben kann.«
    » Das ist der Unterschied zwischen uns. Ein Träumer hat die Hoffnung, dass seine Träume in Erfüllung gehen.«
    Er machte eine Pause und suchte ihren Blick. Einen Moment lang war er ganz der Alte.
    » Ein gläubiger Mensch hat die Gewissheit.«
    Dann drehte er sich um, ging zum Arzneischrank, legte eine Hand darauf und betrachtet die Medikamente, die sich darin befanden.
    Die nächsten Worte sprach er, ohne sie anzuschauen.
    » Und was ich dir jetzt sage, widerspricht dieser Gewissheit. Es widerspricht den Lehren, an die ich seit Jahren glaube, und denen, die ich verkünde. Doch es gibt Fälle, in denen die Dogmen der Kirche unbegreiflich sind angesichts des menschlichen Leids. Eines allzu großen menschlichen Leids.«
    Er drehte sich wieder zu ihr um, ganz fahl im Gesicht.
    » Vivien, der Mann, der die Minen an der Lower East Side und am Hudson zur Explosion gebracht hat, ist zu mir gekommen, um die

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