Ich Bin Gott
Beichte abzulegen.«
Vivien war, als würde sie ins arktische Meer gestoßen. Sie blieb lange unter Wasser, bevor sie wieder auftauchen und nach Luft schnappen konnte.
» Bist du sicher?«
In dieser Frage, die ihr instinktiv herausgerutscht war, schwangen Zweifel mit. Michael McKean antworte ruhig und vorsichtig, als wüsste er genau, wie man jemandem etwas erklärt, das schwer zu glauben ist.
» Ich habe ein Psychologiediplom, Vivien. Ich weiß, dass die Welt voller Mythomanen ist, die sich aller möglichen Verbrechen bezichtigen, nur um ein bisschen Berühmtheit zu erlangen. Ich weiß, dass die Polizei oft das Problem hat, den Täter suchen und gleichzeitig vor denjenigen, die behaupten, es zu sein, flüchten zu müssen. In diesem Fall ist es anders.«
» Was lässt dich da so sicher sein?«
Der Geistliche zuckte mit den Schultern.
» Alles und nichts. Kleinigkeiten, Details, Worte. Und jetzt, nach dem zweiten Attentat, bin ich mir absolut sicher, dass er es ist.«
Vivien war fassungslos, bis ein Adrenalinschub sie wieder handlungsfähig machte. Sie begriff, wie wesentlich das war, was der Geistliche ihr anvertraut hatte. Sie wusste auch, welche inneren Kämpfe er ausgefochten haben musste, um sich dazu durchzuringen.
» Möchtest du mir die Geschichte von Anfang an erzählen?«
Pater McKean nickte. Er wartete. Jetzt war das Fass geöffnet, und er wusste, dass Vivien genug Erfahrung hatte, um die richtigen Fragen zu stellen.
» Wie oft hast du ihn gesehen?«
» Einmal.«
» Wann war das?«
» Sonntagmorgen. Am Tag nach dem ersten Attentat.«
» Was hat er gesagt?«
» Er hat gebeichtet, was er getan hat. Und er hat mir gesagt, was er noch vorhat.«
» Wie hat er es gesagt? Erinnerst du dich an seine genauen Worte?«
» Als ob ich die vergessen könnte! Beim ersten Mal habe er das Licht mit dem Dunkel vereint, hat er gesagt. Beim zweiten Mal würde er die Erde und das Wasser zusammenbringen.«
Er ließ Vivien Zeit zum Nachdenken. Schließlich übernahm er die Schlussfolgerung selbst.
» Und so war es dann auch. Die erste Explosion ist bei Einbruch der Nacht geschehen, wenn Licht und Dunkel aufeinandertreffen. Die zweite hat sich am Flussufer ereignet und Erde und Wasser vereint. Weißt du, was das bedeutet?«
» Das bedeutet, dass er der Genesis folgt, nur mit zerstörerischen statt mit schöpferischen Absichten.«
» Genau.«
» Hat er dir gesagt, warum er das tut?«
Pater McKean setzte sich auf einen Hocker, als hätten ihn während dieses Bekenntnisses sämtliche Kräfte verlassen.
» Diese Frage habe ich ihm auch gestellt, fast mit denselben Worten.«
» Und was hat er geantwortet?«
» Er hat geantwortet: › Ich bin Gott. ‹ «
Dieser Satz, der zum ersten Mal außerhalb des Beichtstuhls ausgesprochen wurde, machte ihnen den glühenden Wahnsinn des Mannes bewusst. Auf einem Weg ohne Wiederkehr steuerte er auf die absolute Mordgier zu, die keinerlei Erbarmen kannte und nur noch das Böse zuließ, bis es das menschgewordene Böse sein würde.
Erneut besann sich der Pater auf sein Psychologiestudium.
» Dieser Mann, wer auch immer es sein mag, ist mehr als ein Serienkiller oder ein Massenmörder. Er vereinigt beide Pathologien in sich. Und von beiden Pathologien hat er den Zorn und den absoluten Mangel an Differenzierungsvermögen, was schließlich in seine blutrünstigen Taten mündet.«
Sollten sie diesen Mann je zu fassen bekommen, dachte Vivien, würde der ein oder andere Psychiater sicher jeden Preis dafür zahlen, Studien über ihn anstellen zu dürfen. Und viele andere Menschen würden genauso viel zahlen, um ihn eigenhändig töten zu dürfen.
» Kannst du ihn beschreiben?«
» Ich konnte sein Gesicht nicht gut sehen. Im Beichtstuhl von Saint Benedict ist es bewusst sehr dunkel. Außerdem war er so umsichtig, sich die ganze Zeit abzuwenden.«
» Erzähl mir alles, woran du dich erinnerst.«
» Dunkler Typ, jung, groß, glaube ich. Leise, ruhige Stimme, aber kalt wie Eis.«
» Fällt dir noch etwas ein? Irgendwelche Details?«
» Ich weiß nicht, ob es hilft, aber ich hatte den Eindruck, dass er eine grüne Jacke trug, eine Militärjacke. Ein Kleidungsstück besagt allerdings nicht viel.«
Im Gegenteil. Es besagt alles.
Vivien spürte, wie ein innerer Jubel ihr das Herz aufgehen ließ.
Also hatte Judith, die Frau, die kein Trinkgeld gab, richtig gesehen. Vivien pries sie im Stillen und schwor, dass sie den versprochenen Kaffee mit ihr trinken und sich jede Klage
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