Ich Bin Gott
roten Punkte alle auf dem Festland und hatten eine genaue geografische Entsprechung.
Vivien murmelte vor sich hin.
» Das ist ein Plan, natürlich.«
Sie hielt die Zeichnung weiter über die Karte und wandte sich Russell zu, der jetzt neben ihr stand. Er begriff langsam, auch wenn ihm nicht klar war, wie Vivien darauf gekommen war.
» Dieser Matt Corey hatte keine künstlerischen Ambitionen. Er wusste genau, dass er kein Talent besaß. Deswegen hat er auch keine einzige der Zeichnungen aufgehängt. Er hat sie nur angefertigt, um den Plan dazwischen verstecken zu können. Und ich bin mir sicher, dass die roten Punkte die Orte kennzeichnen, an denen er die Bomben versteckt hat.«
Sie nahm die Klarsichtfolie weg. Als sie wieder auf den Stadtplan blickte, wurde sie blass und schrie auf.
» O mein Gott.«
Vivien hoffte inständig, dass sie sich irrte, doch als sie die Folie wieder über den Stadtplan legte, fand sie sich bestätigt. Sie fuhr mit dem Finger über den Plan und ging so dicht heran, dass sie fast mit der Nase an die Wand stieß.
» Es sind auch Minen im Joy.«
» Was ist Joy?«
» Jetzt nicht. Wir müssen hin. Sofort.«
» Aber ich …«
» Ich erkläre es dir unterwegs. Wir dürfen keine Minute verlieren.«
Einen Augenblick später war Vivien schon an der Tür. Sie hielt sie auf, bis Russell kam.
» Beeil dich. Das ist ein RFL-Code.«
Während sie auf den Aufzug warteten, arbeitete Viviens Hirn wie nie zuvor in ihrem Leben. Ob sie das den Umständen oder der Tablette von Dr. Savine verdankte, war ihr in diesem Moment egal. Sie versuchte sich den genauen Wortlaut dessen in Erinnerung zu rufen, was der Mann in der grünen Jacke im Beichtstuhl gesagt hatte.
Im Ende liegt die Heiligkeit. Deswegen werde ich am Sonntag nicht ruhen …
Ganz offenkundig war das nächste Attentat für den kommenden Sonntag vorgesehen. Das ließ ihnen ein wenig Luft, sofern sich ihre Vermutung hinsichtlich der Folien als richtig erweisen würde. Doch was das Joy betraf, konnte sie kein Risiko eingehen. Es musste so schnell wie möglich evakuiert werden. Sie wollte nicht an einem einzigen Tag Schwester und Nichte verlieren.
Auf der Straße angelangt, rannten sie zum Auto. Vivien hörte Russell hinter sich keuchen. Dem schlechten Geruch, den er verbreitete, entsprach offensichtlich auch sein sonstiger körperlicher Zustand. Auf der Fahrt in die Bronx würde er sich ein wenig ausruhen können.
Sie versuchte, Pater McKean zu erreichen, doch sein Handy war ausgestellt. Eigentlich müsste er mittlerweile längst wieder im Joy sein. Vielleicht hatte er nach dem jüngsten Erlebnis aber auch das Bedürfnis, sein Handy wie einen leblosen Gegenstand in der Tiefe seiner Tasche zu begraben. Sie versuchte es bei John Kortighan, doch sein Handy klingelte ins Leere.
Mit jedem Klingeln verlor Vivien ein Jahr ihres Lebens.
Sie setzte das Polizeilicht aufs Autodach und fuhr mit quietschenden Reifen los. Im Zentrum selbst wollte sie nicht anrufen, um die Jugendlichen nicht in Panik zu versetzen. Auch Sundance konnte sie nicht anrufen, denn die Gäste des Joy durften keine Handys haben.
Während sie so schnell, wie der Verkehr es zuließ, die Straßen entlangraste, wandte sie sich endlich an Russell, der sich am Griff über der Tür festklammerte. Sie fuhr jetzt automatisch, mit eingespielten Bewegungen und Reflexen. Ihre augenblickliche Neugierde war eines der wenigen Gefühle, die sie noch als menschlich empfand.
» Was hast du also gefunden?«
» Wäre es nicht besser, wenn du dich aufs Fahren konzentrierst?«
» Ich kann gleichzeitig fahren und zuhören.«
Russell schien entschlossen, sich dieser Prüfung zu unterziehen, indem er sich so kurz wie möglich fasste.
» Ich kann dir jetzt nicht erklären, wie ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin, aber ich habe herausgefunden, dass Matt Corey ebenjener Little Boss von dem Foto war. Er war ein Kamerad von Wendell Johnson in Vietnam. Matt Corey ist all die Jahre über für tot gehalten worden, weil er die Identität seines Freundes angenommen hat.«
Vivien stellte die Frage, die ihr am meisten unter den Nägeln brannte.
» Und der Sohn?«
» Er wohnt nicht mehr in Chillicothe. Sein Name ist Manuel Swanson. Ich weiß nicht, wo er jetzt ist. Früher einmal war er jedoch Künstler.«
Mit der linken Hand hob er die Plakatrolle hoch.
» Und ich habe ein Plakat von ihm ergattern können.«
» Zeig her.«
Russell konnte während ihres Gesprächs nicht die Augen von der Straße
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