Ich Bin Gott
und den Jugendlichen hinüber, die am Fuße der Treppe darauf warteten, zum Joy zurückzufahren. Dann schaute er wieder McKean an. Sein Blick war verlegen.
» Ich muss dich um einen Gefallen bitten, falls es dir irgend möglich ist.«
» Lass hören.«
» Angelo geht es nicht gut. Ich weiß, dass der Sonntag ein wichtiger Tag für dich und deine Jugendlichen ist, aber könntest du ihn trotzdem bei der Messe um halb eins vertreten?«
» Natürlich, kein Problem.«
Seine Schützlinge würden ihn vielleicht vermissen, doch an diesem besonderen Tag war er ohnehin nicht in der Gemütsverfassung für ein gemeinsames Mittagessen. Er war immer noch bedrückt und hielt es für besser, gar nicht erst anwesend zu sein, als schlechte Stimmung zu verbreiten.
Er stieg die Stufen zu den wartenden Jugendlichen hinunter.
» Tut mir leid, aber ich fürchte, dass ihr heute ohne mich essen müsst. Ich habe hier noch etwas zu erledigen und komme später nach. Sagt Mrs. Carraro, dass sie mir etwas warm halten soll, falls etwas übrig bleibt.«
Er sah enttäuschte Gesichter. Jerry Romero, der Älteste der Gruppe, der auch am längsten Gast im Joy und damit für viele Jugendliche eine Bezugsperson war, brachte die allgemeine Enttäuschung zum Ausdruck.
» Um das wiedergutzumachen, musst du uns aber heute einen Fastflyx-Abend erlauben.«
Fastflyx war eine Firma, die DVDs verlieh und per Post zuschickte. Dank Johns diplomatischen Fähigkeiten konnte das Joy den Service kostenlos nutzen. An diesem Ort der Mühsal und des Verzichts war es schon fast ein Luxus, gemeinsam einen Film anzusehen.
McKean zeigte mit dem Finger auf den Jungen.
» Das ist gemeine Erpressung, Jerry, das muss ich dir und deinen Komplizen schon sagen. Dennoch muss ich mich wohl dem Druck der Allgemeinheit beugen. Außerdem glaube ich, dass gerade gestern Abend eine Überraschung angekommen ist. Eine doppelte Überraschung vielmehr.«
Schnell winkte er ab, um den Fragen der Jugendlichen zuvorzukommen.
» Darüber sprechen wir nachher. Jetzt fahrt los, denn die anderen warten sicher schon auf euch.«
Die Jugendlichen vertieften sich in Diskussionen und gingen zum » Batmobile « , wie sie den Kleinbus liebevoll nannten. McKean sah ihnen nach. Dieser kunterbunte Haufen war zugleich eine Ansammlung von Problemen, die zu groß für ihr jugendliches Alter waren. An einige von ihnen kam man nur äußerst schwer heran. Doch sie waren seine Familie, und für eine gewisse Zeit ihres Lebens würde das Joy ihre Familie sein.
John verweilte noch einen Moment, bevor er ihnen folgte.
» Soll ich dich nachher abholen?«
» Mach dir keine Gedanken. Ich lasse mich von jemandem fahren.«
» Gut, dann bis später.«
Der Pater blieb stehen, bis das Fahrzeug sich in Gang gesetzt hatte und hinter einer Ecke verschwunden war. Dann ging er die Treppe wieder hinauf und betrat die Kirche, die jetzt praktisch leer war. Nur zwei Frauen saßen noch in einer Bank in der Nähe des Altars und wollten vielleicht die gemeinschaftliche Gotteserfahrung in einem persönlichen Zwiegespräch fortsetzen.
Direkt hinter dem Eingang befand sich auf der rechten Seite der Beichtstuhl aus hellem glänzendem Holz. Vor beiden Eingängen hingen Vorhänge aus rotem Samt. Ein rotes Lämpchen leuchtete, wenn sich ein Priester im Innern befand, ein kleineres an der Seite zeigte an, ob der Beichtstuhl besetzt war. Der Beichtvater saß in einem engen Raum mit einem Korbstuhl als einzigem Komfort. Eine abgeschirmte Lampe erhellte die blaue Wandbespannung. Der Bereich für den Beichtenden war sehr viel spartanischer. Er enthielt eine Kniebank und ein Gitter, das jene Vertraulichkeit gewährleistete, die viele in einem so intimen Moment brauchten.
Hierhin zog sich Pater McKean zuweilen zurück, ohne das Lämpchen anzuschalten oder auf andere Weise seine Anwesenheit zu verraten. Er blieb dann eine Weile dort sitzen, um über wirtschaftliche Belange seiner Wirkungsstätte nachzudenken, um seine Gedanken zu sammeln, wenn sie sich wieder einmal als Zugvögel erwiesen, oder um sich auf einen besonders schwierigen Fall unter seinen Schützlingen zu konzentrieren. Um schließlich zum Schluss zu gelangen, dass jeder Einzelne schwierig war und alle dieselbe Aufmerksamkeit brauchten, dass sie mit dem verfügbaren Geld wahre Wunder vollbrachten und weitere würden vollbringen müssen und dass die Gedanken, wenngleich sie manchmal schwer zu verfolgen waren, früher oder später doch noch zeigten, wo sie ihr Nest gebaut
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg