Ich Bin Gott
möglichen Konsequenzen zu bekräftigen.
» Und jetzt erzählen Sie.«
Der Captain gab Vivien ein Zeichen. Sie hatte bis zu diesem Augenblick schweigend neben dem Schreibtisch gestanden und dem Gespräch zugehört. Russell begriff, dass von diesem Moment an sie die Sache in die Hand nehmen würde.
Und so war es auch.
» Was haben Sie mit Ziggy Stardust zu tun?«
» Ich war Samstagnachmittag aus persönlichen Gründen bei ihm.«
» Aus was für Gründen?«
Russell Wade hob die Schultern.
» Sie kennen mich. Und ich denke, Sie kannten Ziggy und seine Betätigungsfelder. Darf ich behaupten, dass die Gründe im Moment unwichtig sind?«
» Sprechen Sie weiter.«
» Ziggy hat in einer Wohnung im Souterrain gewohnt. Als ich das Haus betrat und unten an der Treppe um die Ecke bog, habe ich gesehen, dass jemand in einer Militärjacke ziemlich schnell die Treppe auf der anderen Seite hochgegangen ist. Ich dachte, es sei einer von Ziggys Kunden, der es eilig hatte wegzukommen.«
» Würden Sie ihn wiedererkennen?«
Russell fiel die Veränderung auf, die mit der jungen Polizistin vor sich gegangen war, und er war beeindruckt. Aus einer einfachen Zuhörerin war sie in die Rolle der Befragenden geschlüpft und machte ihre Sache gut.
» Ich glaube nicht. Sein Gesicht habe ich nicht gesehen, und seine Statur war ziemlich gewöhnlich. Es könnte eine x-beliebige Person gewesen sein.«
» Was haben Sie dann getan?«
» Die Tür zu Ziggys Wohnung stand offen, also bin ich hinein. Er hat noch gelebt, und überall war Blut, auf der Hose und vorne auf dem Hemd. Auch aus seinem Mund floss Blut. Er hat versucht, aufzustehen und zum Drucker zu gehen.«
An dieser Stelle hakte der Captain nach.
» Zum Drucker?«
Russell nickte.
» Ja genau. Ich habe mich auch gefragt, warum. Er hat sich an mir festgekrallt und eine Taste neben einem orange leuchtenden Lämpchen gedrückt. Offenbar war vorher das Papier zu Ende gewesen, und der Drucker hatte auf Stand-by geschaltet.«
» Und dann?«
» Er konnte gerade noch das Blatt aus dem Drucker ziehen und es mir in die Hand drücken, dann ist er in sich zusammengesackt und gestorben.«
Russell hielt einen Moment inne, bevor er weitersprach. Keiner der beiden drängte ihn.
» Da habe ich auf einmal Panik bekommen. Ich habe das Blatt Papier in die Jackentasche gestopft und bin weggelaufen. Natürlich hätte ich die Polizei rufen sollen, doch die Angst vor den Konsequenzen oder davor, dass der Mörder zurückkommen könnte, war stärker. Als ich dann zu Hause war, habe ich aus dem Fenster die Explosion in der Lower East Side gesehen und das Papier vergessen. Nachdem ich mich beruhigt hatte und wieder zu mir gekommen war, habe ich das Blatt hervorgekramt. Es ist die Fotokopie einer Seite eines längeren Briefs, denn der Text beginnt und endet mitten im Satz. Der Brief ist von Hand geschrieben, und ich hatte einige Mühe, ihn zu entziffern, vor allem wegen der Blutflecken darauf.«
Russell machte wieder eine Pause. Sein Tonfall hatte sich verändert. Das war die Stimme eines Mannes, der sich mit einer Tatsache nicht abfinden konnte, so offensichtlich sie auch sein mochte.
» Ich musste ihn noch zweimal lesen, bis ich den Sinn der Worte wirklich begriffen hatte. Und als ich realisiert hatte, was da stand, brach alles über mir zusammen.«
» Was stand denn dort so Wichtiges?«
Russell Wade griff in die Innentasche seiner Jacke, holte ein gefaltetes Blatt hervor und reichte es Vivien.
» Hier. Das ist eine Fotokopie des Originals. Lesen Sie selbst.«
Vivien nahm das Blatt, entfaltete es und begann zu lesen. Als sie ans Ende kam, war sie bleich und presste die Lippen zusammen. Wortlos reichte sie das Blatt an den Captain weiter, der seinerseits zu lesen begann.
und deswegen bin ich weggegangen. Jetzt weißt du also, wer ich bin und woher ich komme, und jetzt weißt du auch, wer du bist. Wie du siehst, ist meine Geschichte schnell erzählt, weil ab einem gewissen Punkt nicht mehr viel passiert ist. Doch es war schwer, sie zu erzählen, weil es schwer war, sie zu leben. Ich habe in meinem Leben niemandem etwas hinterlassen können. Ich habe meinen Zorn und meinen Hass lieber für mich behalten. Jetzt, wo der Krebs seine Arbeit erledigt hat und ich in einem anderen Leben bin, kann ich dir etwas hinterlassen, wie ein Vater es für seinen Sohn tun sollte, und wie ich es schon vor langer Zeit hätte tun sollen, ohne dass ich die Möglichkeit dazu hatte. Ich habe nicht viel Geld. Alles, was
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