Ich Bin Gott
Knoten löste, den er seit Jahren in sich trug. Als müsste ein Schiff erst in einen richtigen Sturm geraten, um seine Seetüchtigkeit unter Beweis zu stellen.
In seinem Zweifel und seiner Mutlosigkeit hatte er sich zunächst gefragt, was Robert Wade an seiner Stelle tun würde. Dann war ihm klar geworden, dass es sich um die falsche Frage handelte. Wichtig war zu wissen, was er tun sollte. Und schließlich hatte er dem Spiegel, in dem er sich all die Jahre gesucht und immer nur seinen Bruder gesehen hatte, den Rücken gekehrt.
Die Nacht von Sonntag auf Montag hatte er auf seinem Bett gelegen und die Decke angestarrt, die im Zwielicht wie ein helles Dach gewirkt hatte. Die Lichter und die Geräusche der Stadt waren durch die Fenster hereingedrungen, und ihm war klar geworden, dass jeder Mensch sich allein fühlt, doch niemand es je wirklich ist.
Man musste nur suchen. Das Wer und das Wie zu finden, war nicht schwer. Das Wo war das Problem. Fast immer lag es näher, als man sich vorstellen konnte. Als der Tag die Leuchtreklame und die Straßenlampen ausgeschaltet und die Sonne wieder angezündet hatte, stand er auf, stellte sich unter die Dusche und spülte die Müdigkeit der schlaflosen Nacht ab.
Dann stand er nackt vor dem Badezimmerspiegel, sah seinen Körper und sein Gesicht und wusste plötzlich, wer er war. Und wenn er sich etwas beweisen musste, dann nur sich selbst und niemand anderem.
Vor all dem hatte er jetzt keine Angst mehr.
Hinter ihm ging die Tür auf. Die junge Frau, die sich als Detective Vivien Light vorgestellt hatte, stand auf der Schwelle.
Als er vor kurzem
vor kurzem?
nach der Nacht in der Zelle mit Rechtsanwalt Thornton auf die Straße getreten war, hatte er sie vor der Glastür stehen sehen, reglos, als wüsste sie nicht, ob sie die Treppe hinuntergehen soll oder nicht. Er war im Auto an ihr vorbeigefahren, und ihre Blicke hatten sich getroffen. Nur für einen Augenblick, ohne Urteil, ohne Anklage. Nur mit einem eigenartigen Gefühl des Verstehens, das Russel nicht vergessen hatte. In jenem Moment hatte er nicht gewusst, dass sie Polizistin war, doch als er sie an ihrem Schreibtisch mit dem Foto von Ziggy gesehen hatte, war ihm klar gewesen, dass sie vielleicht die richtige Person war. Gleich würde er es erfahren.
Die junge Frau trat einen Schritt zur Seite und deutete in den Flur.
» Kommen Sie.«
Russell folgte ihr bis zu einer Tür aus Mattglas mit der Aufschrift
Captain Alan Bellew
in schön geschwungenen kursiven Lettern. Russell fühlte sich an einen Schwarz-Weiß-Krimi aus den Vierzigern erinnert. Vivien Light öffnete ohne anzuklopfen die Tür, und sie betraten ein Büro, dem jede Strenge abging. An der Wand zur Linken standen Karteikästen, auf der rechten Seite befand sich ein Schrank, und die Mitte des Raums nahm ein Tischchen mit einer Kaffeemaschine darauf und zwei Sesseln davor ein. An den Wänden von undefinierbarer Farbe hingen mittelmäßige Bilder, und ein paar Töpfe mit Pflanzen steckten in den Ringen eines schmiedeeisernen Pflanzenhalters.
Direkt gegenüber der Tür stand ein Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß, den Russell in dem von den Jalousien kaum gedämpften Gegenlicht nicht gut erkennen konnte.
Der Mann deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.
» Ich bin Captain Bellew. Setzen Sie sich bitte, Mr. Wade.«
Russell setzte sich. Vivien Light blieb in einiger Entfernung stehen. Sie musterte ihn neugierig, während der Captain kein besonderes Interesse an ihm zeigte.
Russell beschloss, dass dieser Mann seinen Job verstand. Er war kein Politiker, sondern Polizist, einer, der sich Dienstgrade und Ämter mit praktischer Arbeit erworben hatte und nicht mit Public Relations.
Bellew lehnte sich zurück.
» Detective Light sagte mir, dass Sie behaupten, wichtige Informationen für uns zu haben.«
» Ich behaupte das nicht. Ich habe sie.«
» Das werden wir ja sehen. Fangen wir von vorne an. Erzählen Sie mir von Ihrer Beziehung zu diesem Ziggy Stardust.«
» Zuerst möchte ich über meine Beziehung zu Ihnen sprechen.«
» Wie bitte?«
» Ich weiß, dass Sie in Fällen wie diesem einen großen Ermessensspielraum haben, wenn jemand einen wichtigen Hinweis für die Ermittlungen liefert. Sie können Geld und eine Reihe anderer Privilegien verteilen. Sogar Immunität, falls nötig.«
Das Gesicht des Captains verdüsterte sich.
» Sie wollen Geld?«
Russell Wade schüttelte den Kopf. Die Andeutung eines Lächelns flog über sein Gesicht.
» Bis
Weitere Kostenlose Bücher