Ich Bin Gott
Augen.
» Als Mitch zu arbeiten anfing, hat er sich die Haare, die er immer in einem Pferdeschwanz getragen hatte, abschneiden lassen. Vor dem Schneiden habe ich sie ihm zu einem Zopf geflochten, den wir dann als Erinnerung eingerahmt haben. Sie können ihn mitnehmen. Aus den Haaren kann man DNA gewinnen.«
Dann hielt sie der jungen Frau das Foto hin.
» Das ist mein Mann. Es ist eines der letzten Fotos von ihm.«
Carmen sah einen Anflug von Wohlgefallen im Gesicht der Polizistin. Der Mann hatte die ganze Zeit geschwiegen und sie nur mit seinen intensiven, dunklen Augen, die bis ins Innerste der Menschen vorzudringen schienen, angesehen. Sie glaubte zu erkennen, dass die Frau es war, die die Zügel in der Hand hielt, sowohl in der Beziehung zwischen den beiden als auch in der zur Außenwelt.
Vivien nahm den Rahmen und stellte ihn gegen die Sofalehne.
» Ein paar Dinge noch, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mrs. Montesa.«
Sie zog einen Gegenstand aus der Innentasche ihrer Jacke und hielt ihn Carmen hin. Es war eine Brieftasche.
» Hat dies hier Ihrem Mann gehört?«
» Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Das war nicht sein Stil. Er hatte nur Sachen mit Harley-Davidson-Emblem drauf.«
» Haben Sie diese Person schon einmal gesehen?«
Carmen betrachtete das Foto von einem braunhaarigen jungen Mann, der mit einer großen schwarzen Katze für den Fotografen posierte.
» Nein, nie.«
Als die Polizistin die Gegenstände wieder in ihre Tasche steckte, hatte Carmen den Eindruck, dass die Antworten sie enttäuscht, aber nicht überrascht hatten.
» Ist Ihnen irgendetwas Besonderes aus dem Berufsleben Ihres Mannes in Erinnerung geblieben? Irgendetwas, das er Ihnen erzählt hat, ohne ihm möglicherweise große Bedeutung zuzumessen?«
Vivien ließ ihr Zeit zu überlegen. Dann sprach sie weiter. Offenbar war es wichtig.
» Mrs. Montesa, aus verständlichen Gründen können wir Ihnen nichts Genaueres sagen, doch Sie sollten wissen, dass die Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit ist.«
Aus ihrem professionellen Tonfall war eine gewisse Unruhe herauszuhören. Carmen dachte eine Weile nach, dann machte sie eine bedauernde Geste.
» Nein. Obwohl Mitch in der Vergangenheit sehr umtriebig war, haben wir ein recht ruhiges Leben geführt. Manchmal hat er noch seine alten Freunde getroffen. Die Skullbusters, meine ich. Aber abgesehen davon, dass er abends manchmal mit ein paar Bier zu viel nach Hause kam, war er jemand, der viel gearbeitet und nichts Unrechtes getan hat. Zu Hause hat er nur wenig von seiner Arbeit erzählt. Er hat immer nur mit Nick gespielt.«
Gerade als die Polizistin etwas erwidern wollte, hörte man einen Schlüssel im Schloss, und die Haustür ging auf. Absätze klapperten über den Fußboden und unterbrachen das Gespräch, selbst viel beredter als jedes Wort. Carmen sah ihre Tochter durch den Flur kommen und den Kopf ins Wohnzimmer stecken.
Ihr kurzes, gegeltes Haar stand nach allen Seiten hin ab, die Augen waren tiefschwarz geschminkt, der Lippenstift lila. An den Händen trug sie fingerlose Handschuhe. Ihre Jeans sahen aus, als wären sie ihr einige Nummern zu groß, und ihr kurzes T-Shirt ließ den gepiercten Bauchnabel frei.
Überrascht schien sie nicht zu sein, ihre Mutter mit zwei Unbekannten anzutreffen. Sie musterte erst Vivien, dann Russell, dann sah sie ihre Mutter an.
» Die Bullen hättest du echt nicht rufen müssen. Ich komme schon wieder, das weißt du doch.«
» Sie sind nicht …«
Das Mädchen fiel ihr ins Wort, während sie den Schlüssel in die Tasche zurücksteckte, eher gelangweilt als beeindruckt.
» Das sieht man doch hundert Meilen gegen den Wind, dass das Bullen sind. Glaubst du, ich bin bescheuert.«
Jetzt sah sie ihre Mutter wieder an.
» Das böse Mädchen ist jedenfalls zurück, und deine Schnüffler können abziehen. Und sag ihnen, dass sie ohne einen Durchsuchungsbeschluss nicht mal eine Serviette hier anfassen.«
Carmen sah, wie sich Viviens Gesicht für einen Moment verdüsterte, als käme ihr das irgendwie bekannt vor. Und sie merkte auch, dass sich die Polizistin nur mit Mühe beherrschte, als sie sich jetzt an Allison wandte.
» Wir sind nicht wegen dir hier. Wir haben deiner Mutter eine Nachricht überbracht.«
Doch Allison hatte ihnen schon den Rücken zugedreht, als interessierte sie das alles nicht. Sie verschwand im Flur, und man hörte nur noch ihre sarkastische Replik.
» Na und? Ist mir doch scheißegal.«
Schritte auf der Treppe,
Weitere Kostenlose Bücher