Ich Bin Gott
dann wurde oben eine Tür zugeknallt. Die drei Erwachsenen schwiegen perplex.
Carmen wusste nicht, was sie sagen sollte. Vivien fand als Erste die Sprache wieder. Die Szene, deren Zeugen sie soeben geworden waren, hatte eine gewisse Vertraulichkeit geschaffen, daher sprach sie Carmen jetzt mit ihrem Vornamen an.
» Darf ich ein paar Worte mit deiner Tochter wechseln, Carmen?«
Die war einen Augenblick verblüfft, weil ihr der Sinn der Bitte nicht ganz klar war.
» Ja, ich denke schon.«
Vivien hielt eine Präzisierung für angebracht.
» Ich fürchte allerdings, es werden etwas raue Worte sein.«
» Verstehe. Ich glaube aber nicht, dass ihr das schadet.«
Vivien stand auf, und Carmen schenkte ihr ein kleines verschwörerisches Lächeln.
» Die Treppe hoch, erstes Zimmer auf der rechten Seite.«
Vivien verschwand im Flur, weil sie eine kleine Ansprache für angebracht hielt, an diese Person und in diesem Moment. Der, der sich als Russell vorgestellt hatte, setzte eine betont ironische Miene auf. Bislang hatte er noch nichts gesagt, aber als er jetzt das Wort ergriff, klang seine Stimme genauso, wie Carmen es sich vorgestellt hatte.
» Vivien ist eine sehr entschiedene Frau.«
» Das sehe ich.«
» Und auch sehr korrekt, wenn sie will.«
» Davon bin ich überzeugt.«
Dann schwiegen sie, bis Vivien kurz darauf zurückkehrte. Gelassen trat sie ins Zimmer und setzte sich wieder aufs Sofa.
» Das wäre erledigt. Sie wird in den nächsten Stunden noch einen roten Kopf haben, aber ich denke, sie hat begriffen, wie der Hase läuft.«
Sie holte ihre Brieftasche hervor, nahm eine Visitenkarte heraus und legte sie auf das Rätselheft. Carmen sah, wie sie den Stift nahm, der daneben lag, und etwas auf die Rückseite schrieb. Dann beugte sie sich zu ihr hinüber und reichte ihr das Kärtchen.
» Hier ist meine Telefonnummer. Auf der Rückseite steht auch die von meinem Handy. Wenn dir noch irgendetwas zu deinem Mann einfällt oder du noch Probleme mit deiner Tochter haben solltest, ruf mich an.«
Vivien nahm den gerahmten Zopf und stand auf. Russell tat es ihr nach. Der Besuch war beendet. Carmen begleitete sie zur Tür. Als sie gehen wollten, berührte sie den Arm der jungen Frau.
» Vivien.«
» Ja?«
» Danke. Das hätte ich längst selbst schon tun sollen. Trotzdem danke.«
Die Polizistin lächelte sie an. Ihre Augen leuchteten einen Augenblick auf, dann zuckte sie mit den Schultern.
» Wofür denn? Auf Wiedersehen, Carmen.«
Die wartete, bis die beiden die Treppe hinuntergegangen waren, dann schloss sie die Tür und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dort ließ sie sich die ganze Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen.
Verflucht noch mal, Mitch. Hoffentlich habe ich dir in der Zeit, die wir miteinander hatten, hinreichend bewiesen, wie sehr ich dich liebe …
Das Schlimmste würde noch kommen, am Abend, wenn sie das Licht ausmachen und mit all ihren Gespenstern allein sein würde. Jetzt beschloss sie, den Fernseher einzuschalten und die Welt zu bitten, ihr Gesellschaft zu leisten.
Sie setzte sich in den Sessel, nahm die Fernbedienung und schaltete den Apparat ein. Es gab eine Nachrichtensendung über die Explosion in der 10 th Street in Manhattan. Beim Anblick der Bilder der Zerstörung schoss ihr plötzlich etwas durch den Kopf. Sie sprang auf, lief zur Tür und riss sie auf. Russell und Vivien waren noch da. Sie standen auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig neben ihrem Auto und sahen aus, als würden sie sich über das Gespräch austauschen.
Carmen winkte mit beiden Armen, um auf sich aufmerksam zu machen.
» Vivien!«
Die Polizistin und ihr Partner drehten sich um. Als sie Carmen unter dem Vordach stehen sahen, kamen sie zu ihr herüber.
» Was ist los, Carmen?«
» Mir ist etwas eingefallen. Es ist so viel Zeit vergangen, und meine Erinnerungen sind …«
Vivien schien aufgeregt. Mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme unterbrach sie sie.
» Erzähl einfach.«
Carmen war verlegen. Zum ersten Mal in ihrem Leben spielte sie eine Rolle in einer polizeilichen Ermittlung, und sie fürchtete, eine schlechte Figur abzugeben oder etwas Törichtes zu sagen.
» Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich erinnere mich, dass Newborn Brothers, die Baufirma, für die Mitch gearbeitet hat, vor langer Zeit ein Haus am North Shore von Long Island renoviert hat. Das Haus gehörte einem ehemaligen Offizier, glaube ich. Einem Major oder einem Colonel oder so etwas in der Art.«
Vivien
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