Ich. bin. Jetzt - auf dem achtfachen Yoga-Pfad zu sich selbst finden
lenken uns nur ab von dem, was wirklich zählt, argumentieren einige. Wer sich berufen fühlt, als Mönch, Nonne oder Swami zu leben, wird diesen Weg beschreiten. Doch Sexverzicht zu predigen, kann genauso wie alles andere ego-getrieben sein bzw. in Sexskandalen enden, wie wir in der katholischen Kirche oder bei einigen namhaften Yoga-Gurus sehen. Der Sexualtrieb zählt bei uns Menschen zu den mächtigsten Instinkten – immerhin sichert er den Erhalt unserer Spezies. Die meisten Menschen, die aus welchen Gründen auch immer versuchen, enthaltsam zu leben, verdrängen ihre Sexualität und unterdrücken damit ihre Lebensenergie. Doch Energie lässt sich nicht unterdrücken. Energie, die wir nicht konstruktiv nutzen, kommt irgendwann auf destruktive Weise an die Oberfläche. Das ist nicht im Sinn von Brahmacharya.
Was wirklich zählt, ist, wie Sie Ihre Zeit, Ihre Energie und Ihre Kraft nutzen – wie Sie sind und mit welchem Bewusstsein Sie durchs Leben gehen. Vermutlich ist Ihr Leben nicht von Zurückgezogenheit und Stille geprägt, sondern von Aktivität und Interaktion. Die große Herausforderung, vor der die meisten von uns stehen, ist das ego-freie In-Beziehung-Sein. Das heißt, die Idee der Trennung aufzugeben und anderen Menschen in Liebe zu begegnen. Jede Art von Beziehung ist eine Chance, alte Muster abzulegen, sich weiterzuentwickeln und gemeinsam über das Ego hinauszuwachsen. Das gilt insbesondere in Liebesbeziehungen.
Unsere Seele hat Sehnsucht nach Eins-Sein und nach Liebe. Eine Möglichkeit, diesen Zustand im irdischen Leben zu erfahren, ist die sexuelle Vereinigung mit einem anderen Menschen. Sex kann als intimste Ausdrucksform der Liebe dienen. Im Sex können zwei Seelen verschmelzen, nicht nur zwei Körper. Wenn wir uns ganz hingeben und fallen lassen, verschwindet das „Ich“ für ein kurzes Weilchen. Das Denken setzt aus und die Zeit scheint stillzustehen. In diesem Moment fühlen wir uns eins. Eins mit unserem Partner und eins mit unserem wahren Selbst. Viele vergessen in der Euphorie der Sache jedoch, dass wir weder einen Partner noch Sex brauchen, um eins und ganz zu sein. Hier ist der Grund zu finden, warum manche Menschen, die viel meditieren, ihr Interesse am Sex verlieren. Sie erleben die Einheit allen Seins in allem und überall. Statt Enthaltsamkeit zu erzwingen, entsteht sie dann von innen heraus.
Alles mit Maß
In vielen Auslegungen meint Brahmacharya: Mäßigung in allen Dingen. Es geht darum, bewusst mit unserer Lebensenergie umzugehen und ein Zuviel zu vermeiden. Wer hat sich noch nie den Bauch so vollgeschlagen, dass er sich nachher elend gefühlt hat? Statt durch die Nahrung Energie zu gewinnen, hat das Essen Kraft gekostet. Fast jeder hat schon einen Kater gehabt – keine Katze, sondern die unangenehmen Folgeerscheinungen von zu viel Alkohol. Genauso wenig tut uns zu viel Sport oder eine zu intensive Asana-Praxis gut. Was auch immer wir im Übermaß betreiben, kostet Energie, und wir müssen die Rechnung dafür bezahlen. Das heißt nicht, dass wir jetzt auf alle „Freuden“ verzichten und ein langweiliges Dasein fristen müssen. Alles mit Maß und Ziel. Oder wie ein Sprichwort sagt: „Die Menge macht das Gift.“
Wenn Sie zu den Menschen gehören, die zu viel Süßes essen, zu viel arbeiten, zu viel einkaufen, zu viel Alkohol trinken oder sonst etwas zu viel tun, haben Sie höchstwahrscheinlich schon festgestellt, dass es nicht so einfach ist, Maß zu halten. Der Wille ist stark, aber das Fleisch ist oft schwach. Wir tun Dinge, die wir eigentlich nicht tun wollen, und das ist ein ziemlich sicheres Zeichen, dass wir das Wesentliche aus den Augen verloren haben und nicht der Absicht unserer Seele folgen. Damit zu dem, was Bramacharya wörtlich heißt: „sich auf das Wesentliche ausrichten“.
Der inneren Wahrheit folgen
Angenommen, Sie haben in Ihrem Auto ein Navigationssystem, das Sie auf schnellstem Weg an Ihr Ziel bringt. Die Stimme warnt Sie vor einem Stau und empfiehlt eine andere Route, aber Sie bleiben beharrlich auf Ihrer Strecke. Die Stimme sagt freundlich: „Biegen Sie bitte bei nächster Gelegenheit links ab.“ Sie drehen das Navi ab und fahren geradeaus weiter. Sie landen mitten im Stau und fühlen sich schlecht. Ein Navi ist ziemlich sinnlos, wenn wir es ignorieren.
Jeder Mensch hat ein inneres Navi. Brahmacharya bedeutet, auf diese innere Wahrheit und Führung zu hören, sie als Bezugspunkt zu wählen und von hier aus zu denken, zu fühlen und zu handeln.
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