Ich. bin. Jetzt - auf dem achtfachen Yoga-Pfad zu sich selbst finden
zu atmen. Im Sutra beschreibt Patanjali keine ausgefeilte Atemmethode, sondern kurz und knapp, wie die Praxis von Pranayama geschieht. Zunächst besteht die Übung darin, die Ausatmung, die Einatmung und die Atempause zu beobachten – den Ort der Atmung, die Länge der Atemphasen und die Anzahl der Atemzüge. Allein durch die Achtsamkeit wird der Atem länger, ruhiger, tiefer und gleichmäßiger. Das können Sie gleich ausprobieren: Atmen Sie bitte so weiter, wie Sie jetzt atmen. In Ihrem Rhythmus. In Ihrer Kapazität. Ohne sich anzustrengen. Beginnen Sie nur die Atemphasen – Ausatmung, Einatmung und eventuell dazwischenliegende Pausen – zu beobachten. Ohne Urteil. Atmen Sie durch die Nase oder durch den Mund ein bzw. aus? Wohin fließt Ihr Atem? Legen Sie dazu bitte Ihre Hände auf den Unterbauch. Bewegt sich Ihr Bauch beim Einatmen? Dehnt er sich aus oder bleibt er eher unbewegt? Dann legen Sie Ihre Hände auf den Brustkorb. Was tut sich hier? Achten Sie darauf, was zwischen Brust und Bauchraum geschieht. Dort sitzt das Zwerchfell, der wichtigste Atemmuskel. Dehnt sich der Brustkorb beim Einatmen aus und weitet sich der Bauchraum oder ist hier wenig Bewegung zu spüren? Beim nächsten Atemzug achten Sie auf Ihre Ausatmung. Atmen Sie aktiv aus oder geschieht das nahezu passiv? Brauchen Sie Energie, um auszuatmen, blasen oder stoßen Sie die Luft heraus oder lassen Sie den Atem einfach los? Machen Sie eine Pause, bevor Sie wieder einatmen? Kontrollieren Sie nichts, atmen Sie in dem Rhythmus weiter, der Ihnen angenehm ist. Wie sieht es beim Einatmen aus? Atmen Sie aktiv ein oder holt Ihr Körper wie ganz von allein Luft? Wie tief geht der Atem? Gibt es eine Pause, bevor Sie wieder ausatmen?
Den Fluss Ihres Atems auf diese Weise wahrzunehmen ist eine ganz simple Übung. Egal, wie Ihre Antworten ausfallen, sobald Sie sich mit Ihrem Atem beschäftigen, sind Sie in der Gegenwart, und sehr wahrscheinlich bewirkt schon allein Ihre Aufmerksamkeit, dass sich Ihr Atemmuster verändert. Ohne Anstrengung, ohne Kontrolle und ohne Vorsatz wird der Atmen länger und subtiler. Das ist der Effekt, den Patanjali beschreibt.
Die vierte Atemart
Im nächsten Sutra zum Thema Pranayama geht Patanjali über das bloße Beobachten der drei Atemformen hinaus und spricht von der „vierten Art“ von Pranayama: Ausatmen, einatmen und Atempause sind kein Thema mehr, sie geschehen von allein. Wiederum finden wir keine näheren Details oder Hinweise, wie wir die vierte Atmungsform anwenden. Hier geht es eigentlich weniger darum, etwas zu üben, als darum, etwas geschehen zu lassen: Die vierte Form ist eine Qualität des Atems, die auf natürliche Weise auftaucht, wenn die Haltung stabil und leicht ist, Körper und Geist ruhig und entspannt sind und der Atem frei fließt. Es ist das Atemmuster, das in tiefer Meditation einsetzt – im vierten Hauptbewusstseinszustand. Neben Wachsein, Traum und Tiefschlaf ist das der Zustand tiefer Stille bei gleichzeitig erhöhter Wachheit. Tauchen wir ein in diese Qualität, kommt das wahre Selbst ans Licht. Nicht mehr ich atme, es atmet mich.
In vielen Sutra-Interpretationen und in vielen Schulen wird die „vierte Art von Pranayama“ mit Kumbhaka – dem Atemstillstand – gleichgesetzt. In tiefer Meditation kommt es zu natürlichen und mühelosen Atemverhaltungen. Zu Momenten, in denen wir weder ein- noch ausatmen. Im Stillstand des Atems steht der Geist still. Diese Pause kann sich zuweilen wie ein kleiner Tod anfühlen, denn in der Leere verschwindet das Ich und wir begegnen unserem wahren Selbst.
Spezielle Atemübungen
Soweit zu dem, was auf natürliche Weise geschieht, wenn wir den Atem bewusst beobachten bzw. in einen Zustand der Meditation eintauchen. Kommen wir noch kurz zu den speziellen Atemübungen, mit denen wir den Atem bewusst zu kontrollieren lernen. In den klassischen Hatha-Yoga-Schriften sind viele Atemtechniken beschrieben, darunter auch solche, mit denen die Kunst der Atempause bewusst und willentlich geübt wird. Nach der Ausatmung, nach der Einatmung oder nach beiden Phasen wird die Luft angehalten. In vielen Übungen geht es darum, in einem bestimmten Rhythmus zu atmen, während der einzelnen Atemphasen zu zählen und sie in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen. So kann beispielsweise die Ausatmung doppelt so lange und das Anhalten viermal so lange dauern wie die Einatmung. Bei manchen Übungen wird über ein Nasenloch ein und das andere wieder ausgeatmet oder es werden Mund und
Weitere Kostenlose Bücher