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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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»Ol-li, Ol-li!«. Als die Holländer ihr hinterhältiges Tor erzielten, goss der Rentner an unserem Tisch vor lauter Aufregung sein Bier über meine Hose. Ganz Malibu war still, doch plötzlich standen zwei Männer in der Mitte auf und klatschten. Alle haben sie angesehen, als wären es Marsmenschen. Es waren Holländer!
    Als die Russen aus dem Turnier ausschieden, sagte der einzige Russe in unserem Hotel: »Immerhin haben wir den Zweiten Weltkrieg gewonnen.« Als Deutschland gegen Lettland antrat, dachten alle im Malibu, die Letten würden allein schon aus Höflichkeit verlieren, aus Dankbarkeit dafür, dass sie in die EU aufgenommen wurden und bei dieser EM überhaupt mitmachen durften. Ich kannte aber die Letten und wusste, sie waren noch arroganter als die Franzosen und Briten zusammen und noch sturer als die Deutschen. Sie hatten sich das Ziel gesetzt: kein Tor für Deutschland! und dieses Ziel manisch die ganze Spielzeit über verfolgt. Die Deutschen konnten nichts dagegen machen.
    Das ganze Hotel tickte nach dieser EM anders. Als die Deutschen gegen die Tschechen verloren, erschienen nur wenige Gäste am nächsten Morgen zum Frühstück, und niemand ging mehr ans Meer. Ich mag gar nicht daran denken, was hier los sein wird, wenn die Deutschen bei der nächsten EM wieder versagen. Dann kann man den Laden dichtmachen.
    TIPP:
    Die meisten Bewohner der Stadt sehen zwar ziemlich unsportlich aus, sind aber bereit, etwas dagegen zu tun: Sie gehen schwimmen (zum Beispiel in einem der tausend Seen im Umland Berlins, von denen jeder von einer anderen Szene belegt wird), sie joggen (im Grunewald oder im Tiergarten) oder sind zumindest Fußballfans. Die Wessis fiebern für Hertha, die im Olympiastadion spielt. Die Ostberliner können sich mit dieser Mannschaft jedoch nicht identifizieren. Sie nennen sie verächtlich »alte Tante« und unterstellen den Hertha-Fans, sie würden ihre Mannschaft nur zu guten Zeiten unterstützen, sich zu schlechten dagegen nach und nach abseilen.
    Die Ostberliner Mannschaften von 1. FC Union und BFC Dynamo können Kampfgeist und Willen zum Sieg beweisen und haben auch viele Fans in der Hauptstadt. Ihr einziger Nachteil ist, dass sie nicht in der Bundesliga spielen. Deswegen sind die Bürger in Sachen Sport auf sich allein gestellt. Sie kicken in den Parkanlagen, hinter den Kaufhallen oder einfach auf der Straße. Es kann sogar sein, dass sie direkt vor dem Brandenburger Tor als Torwart wahrgenommen werden und vor der Max-Schmeling-Halle eins in die Fresse kriegen.
    Eine der interessantesten Sportanlagen ist das Stadtbad Oderberger Straße in der gleichnamigen Straße. Selbst die Nichtschwimmer brauchen dort keine Angst vorm Wasser zu haben, das Becken ist trocken und wird seit fünfzehn Jahren höchstens für Kulturveranstaltungen benutzt.

    Handeln und Feilschen in Berlin
    Schon oft habe ich von Gegenden gehört, in denen man nicht einmal eine Banane kaufen kann, ohne mit dem Verkäufer zwei Stunden über einen Preisnachlass zu diskutieren; über Orte, wo das Feilschen eine volkstümliche Sitte sein soll. Jemand, der dort nicht handelt, beleidigt den Verkäufer und ruiniert seinen Ruf. Ich hatte immer Pech mit dem Handeln. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mich ein Leben lang in den falschen Weltgegenden herumgetrieben habe. In meiner sozialistischen Heimat waren alle Preise von der Regierung festgelegt. Der Versuch, sie anzuzweifeln, galt dort als staatsfeindlicher Akt.
    Später, im wilden neokapitalistischen Russland, konnte erfolgreiches Handeln sogar lebensgefährliche Folgen haben. Einmal wollte ich in Moskau eine Party für Freunde veranstalten. Ich ging in einen Lebensmittelladen, um groß einzukaufen, und erkundigte mich nach einem Rabatt für Kaviar. Der Manager dieses Ladens strahlte Fröhlichkeit aus und war sofort bereit, mir einen erheblichen Preisnachlass einzuräumen. Er gab der Verkäuferin entsprechende Anweisungen und verschwand im Hinterzimmer. Die Verkäuferin zögerte jedoch, mich zu bedienen.
    »Ich rate Ihnen, diesen Kaviar nicht zu kaufen«, sagte sie leise und zwinkerte mir mit einem Auge zu.
    »Warum nicht?«, wunderte ich mich.
    »Darum nicht!«, antwortete die Verkäuferin und zwinkerte mir nun mit beiden Augen noch geheimnisvoller zu.
    »Neulich hat eine Familie aus der Nachbarschaft bei uns eingekauft«, mischte sich ihre Kollegin ein.
    »Die Mutter war sofort tot, die anderen liegen noch immer auf der Intensivstation.«
    »Danke!«, rief ich und lief

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