Ich bin kein Berliner
Berliner Tasche zu finden ist wie ein Jackpot im Lotto, hat mal ein Taschendieb erzählt. Er erwischte höchstens einmal eine billige Fotokamera oder ein Handy. Doch selbst die Handys werden ungern geklaut, weil eine Gaunerlegende besagt, dass die Apparate permanent ein Signal von sich geben, selbst dann, wenn man die SIM-Karte austauscht und die Akkus entfernt. Auf diese Weise kann jedes Handy schnell geortet werden – typisch Überwachungsstaat.
Diebstahl lohnt sich also in Berlin nicht, ganz anders als zum Beispiel in Lissabon. Dort waren wir neulich schon gleich am ersten Tag unsere Tasche los. Ich hatte mir den portugiesischen Reiseführer »Die Metropole am Atlantik. Abseits der Touristenwege« für die Reise gekauft und daraus für den ersten Tag unseres Aufenthaltes die Route »Weg 1. Lissabon im Überblick« ausgewählt. (Nebenbei gesagt, stand in diesem Reiseführer auch, dass die Lissabonner Kriminalität seit Jahren stagniert und kaum zu bemerken ist.)
»Am oberen Ende von der Rua Garett befindet sich das älteste Café der Stadt, A Brasileira. Jeder, der Lissabon wirklich kennen lernen will, sollte dort unbedingt einen Espresso, ein Glas Vino Verde oder frisch gepressten Orangensaft bestellen.«
Das hörte sich gut an, das wollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen. Das Café war gefüllt mit Touristen, die wahrscheinlich alle den gleichen Abseits-Reiseführer gekauft hatten. Ich rieb mir kurz die Augen, verlor für eine Sekunde den Überblick über Lissabon, schon war unsere große Berliner Handtasche weg. Taschentücher, Lippenstift, eine billige Fotokamera, eine Geldbörse mit dem Bild der heiligen Maria und 200 Euro in bar – alles weg.
Der Bedienung im Café A Brasileira, die gerade eben noch in einwandfreiem Deutsch mit uns geredet, eine Bestellung aufgenommen und sorgenvoll gefragt hatte, ob wir auch was zu essen haben wollten, verschlug es vor Aufregung alle Deutschkenntnisse. Sie verstand plötzlich nur noch Portugiesisch. Im Übrigen wunderte sie sich sehr über das Fehlen der Tasche und erklärte uns, dass sie einen solchen Unfug, dass in Lissabon jemand einem anderen etwas wegnehmen würde, eigentlich zum ersten Mal sähe. Dann rief sie aber doch die Polizei.
Diese erschien innerhalb von dreißig Sekunden, als hätte sie den ganzen Tag nur auf uns gewartet.
»Die stecken doch alle unter einer Decke«, argwöhnte Olga, meine Frau, sofort.
Die zwei schweigsamen portugiesischen Polizisten nahmen uns mit zum wunderschönen Rossio-Platz, unserem zweiten geplanten Anlaufpunkt auf dem »Weg 1. Lissabon im Überblick«. Dort, in einem Porzellanladen in einem kleinen Hinterzimmer mit großen Schaufenstern, befand sich das Polizeirevier. Es war anscheinend spezialisiert auf die ausländischen Gäste der portugiesischen Hauptstadt, die sich auf den Reiseführer »Metropole am Atlantik. Abseits der Touristenwege« verlassen hatten. Die Polizisten hatten viel zu tun.
An fünf Tischen saßen sie – mit mehreren angenähten Staatsfahnen auf ihren Hemden. Jede Fahne stand für ein Land, dessen Sprache der jeweilige Polizist beherrschte. Es gab einen mit zwei, einen mit drei und einen sogar mit fünf Fahnen. Letzterer sah jedoch sehr müde aus. Vor ihnen saßen und standen jede Menge verstörter Menschen aus der ganzen Welt. Zwei Mädchen brachen synchron alle zwei Minuten in Tränen aus. Junge Männer ballten aggressiv die Fäuste und warfen böse Blicke um sich. Ein Australier hob und senkte immer wieder beide Hände. Zuerst dachte ich, er würde eine Art Yoga machen, um sich zu beruhigen. In Wirklichkeit bemühte sich der Mann jedoch, der portugiesischen Polizei noch einmal deutlich zu machen, was genau ihm geklaut wurde. Nach seinen Bewegungen zu urteilen, war es etwas sehr Großes und ziemlich Rundes, wie ein großes Kuchenherz.
Vor uns saßen zwei Spanier, die wie Profikiller aus Hollywood aussahen, gefährlich und muskelbepackt. Aber auch sie waren Opfer, ihnen hatte man alles geklaut, sogar den Reiseführer.
Wir wählten den einzigen Polizisten mit der deutschen Fahne auf dem Hemd und nahmen mit ihm zusammen das Protokoll auf: schwarze Tasche aus Berlin, Inhalt ein Handy, eine Packung Papiertaschentücher, eine alte Fotokamera, Ausweis, Wohnungsschlüssel, eine Packung Kaugummi, eine Geldbörse mit dem Bild der heiligen Maria und zweihundert Euro.
Der freundliche Polizist erklärte uns, dass Diebstähle in Lissabon so gut wie unbekannt seien, und wenn doch einmal einer vorkäme,
Weitere Kostenlose Bücher