Ich bin kein Serienkiller
»Nehmen wir an, du bist ein großer Fan von … von was eigentlich?«
»Marci Jensen«, wiederholte er. »Außerdem von Halo, Green Lantern und …«
»Green Lantern«, überlegte ich. »Comic-Hefte. Du magst Comics. Nehmen wir mal an, ein neuer Comic-Autor kommt in die Stadt.«
»Cool«, grinste Max.
»Ja«, stimmte ich zu. »Er arbeitet an einem neuen Heft, und du willst herausfinden, worum es geht. Wäre das cool?«
»Ich sagte doch gerade, dass es cool ist.«
»Du denkst die ganze Zeit darüber nach und versuchst, dir vorzustellen, was er macht, und du vergleichst deine Theorien mit den Theorien anderer Leute und hast Spaß dabei.«
»Klar.«
»So ist das für mich«, erklärte ich. »Ein neuer Serienmörder ist wie ein neuer Autor, der an einem neuen Projekt arbeitet. Er treibt sich direkt vor unserer Nase in der Stadt herum, und ich will herausfinden, was in ihm vorgeht.«
»Du bist verrückt, Mann«, sagte Max. »Du bist wirklich völlig plemplem.«
»Mein Therapeut findet, dass ich mich ganz gut mache«, widersprach ich.
»Von mir aus. Was ist nun deine große Frage?«
»Was tut der Killer, obwohl er es nicht tun muss?«
»Woher wissen wir, was er tun muss?«
»Er muss alles tun, was technisch nötig ist, um jemanden umzubringen«, erklärte ich. »Wenn er jemanden töten will, könnte er ihn erschießen. Das wäre die einfachste Methode.«
»Aber er zerfleischt ihn.«
»Das wäre dann der erste Punkt: Er nähert sich dem Opfer persönlich und greift es im Nahkampf an.« Ich zückte ein Notizbuch und schrieb es auf. »Das bedeutet vermutlich, dass er es aus der Nähe sehen will.«
»Und warum?«
»Das weiß ich nicht. Was sonst noch?«
»Er greift seine Opfer nachts im Dunkeln an«, fuhr Max fort. Allmählich fand er Gefallen daran. »Er packt sie, wenn niemand in der Nähe ist.«
»Das gehört vermutlich zu den Dingen, die er tun muss«, sagte ich. »Besonders wenn er sie persönlich angreifen will. Er will ja nicht erwischt werden.«
»Kommt das also nicht auf unsere Liste?«
»Ich nehme an, niemand, der jemanden tötet, will dabei gesehen werden, also ist das kein besonderes Merkmal.«
»Schreib’s einfach auf«, beharrte Max. »Auf der Liste müssen ja nicht immer nur deine Ideen stehen.«
»In Ordnung.« Ich notierte es. »Wir haben jetzt: Er will nicht gesehen werden. Niemand soll erfahren, wer er ist.«
»Oder was er ist.«
»Oder was er ist«, stimmte ich zu. »Meinetwegen. Also weiter.«
»Er reißt seinen Opfern die Därme aus dem Bauch«, fuhr Max fort, »und stapelt sie daneben auf. Das ist ziemlich cool. Wir könnten ihn den Darmstapler nennen.«
»Warum stapelt er die Eingeweide auf?«, fragte ich. Ein Mädchen, das gerade an unserem Tisch vorbeiging, warf uns einen eigenartigen Blick zu, und ich sprach leise weiter. »Vielleicht lässt er sich mit seinen Opfern Zeit und genießt das Töten.«
»Glaubst du, er nimmt ihnen die Därme raus, solange sie noch leben?«, fragte Max.
»Das halte ich für ausgeschlossen«, erwiderte ich. »Ich meine, vielleicht will er den Mord danach noch genießen. Es gibt da ein berühmtes Zitat von Ted Bundy …«
»Von wem?«
»Ted Bundy«, sagte ich. »Er hat in den Siebzigerjahren im ganzen Land etwa dreißig Menschen getötet. Seinetwegen wurde der Begriff Serienkiller geprägt.«
»Du weißt wirklich ziemlich verrücktes Zeug, John.«
»Egal. Jedenfalls sagte er vor seiner Hinrichtung in einem Interview, wenn du genug Zeit hättest, dann könnte das Opfer jede gewünschte Identität für dich annehmen.«
Max schwieg einen Moment lang.
»Ich weiß nicht, ob ich weiter darüber reden will«, gab er schließlich zu.
»Was soll das heißen? Gerade eben hat es dir noch nichts ausgemacht.«
»Da haben wir über herausgenommene Därme geredet«, erklärte er. »Das ist krass, aber nicht beängstigend. Was du jetzt sagst, ist schon ziemlich abgefahren.«
»Dabei haben wir gerade erst angefangen«, fuhr ich fort. »Es geht eben erst los. Wenn es das Profil eines Serienkillers werden soll, dann muss es ziemlich abgefahren sein.«
»Es macht mich jedenfalls nervös, klar?«, wehrte Max ab. »Ich weiß auch nicht. Ich muss mal aufs Klo.« Damit stand er auf, ließ jedoch sein Essen stehen. Wenigstens wollte er nicht ganz verschwinden. Es hätte mir aber nichts ausgemacht.
Warum konnte ich eigentlich nicht mal mit irgendjemandem eine normale Unterhaltung führen? Über etwas, worüber ich gern reden wollte? War ich wirklich so
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