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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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daneben?
    Ja, das war ich wohl.

FÜNF

Außerhalb der Stadt, ein paar Meilen von unserem Haus entfernt, gab es einen See. Eigentlich hieß er Clayton Lake, was nicht weiter überrascht, weil in unserem County praktisch alles Clayton hieß, aber ich nannte ihn lieber den Freak Lake. Er war ungefähr eine Meile breit und mehrere Meilen lang, hatte aber keinen Jachthafen oder so etwas. Die Ufer waren sumpfig, und jeden Sommer war das Wasser voller Algen, weshalb dort auch niemand baden ging. In ein oder zwei Monaten würde er zufrieren, und dann würden die Leute dort eislaufen oder eisfischen, aber das war es auch schon. In allen anderen Jahreszeiten gab es keinen Grund, sich dort aufzuhalten. Der See war schlichtweg nutzlos.
    Das hatte ich jedenfalls gedacht, bevor ich die Freaks gefunden hatte.
    Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es wirklich Freaks waren, aber ich musste annehmen, dass mit ihnen etwas nicht stimmte. Ich hatte sie schon ein Jahr zuvor entdeckt, als ich es nicht mehr ertragen konnte, auch nur eine weitere Minute mit meiner Mutter daheim zu verbringen. Ich war aufs Fahrrad gesprungen und einfach die Straße entlanggestrampelt. Der See war nicht mein Ziel gewesen, sondern ich war blindlings losgefahren, und zufällig hatte er an meiner Strecke gelegen. Unterwegs war ich an einem Auto vorbeigekommen, das am Straßenrand geparkt hatte. Ein Mann hatte darin gesessen. Dann war mir ein weiteres Auto aufgefallen, einen Kilometer weiter ein leerer Truck – keine Spur vom Fahrer. Wieder hundert Meter weiter hatte eine Frau an ihrem Auto gelehnt und nichts Bestimmtes betrachtet und mit niemandem geredet. Sie hatte nur dagestanden und sich angelehnt.
    Was hatten alle diese Leute dort zu suchen? Der See war kein großartiger Anblick, und es war nichts los hier. Zuerst hatte ich an illegale Tätigkeiten gedacht – ein Drogenumschlagplatz, geheime Liebesaffären, Mörder entsorgten ihre Leichen –, aber das traf alles nicht zu. Möglicherweise waren sie aus dem gleichen Grund dort wie ich. Sie suchten vor irgendetwas das Weite. Sie waren Freaks.
    Seitdem fuhr ich zum Freak Lake, wenn ich allein sein wollte, und das kam immer öfter vor. Die Freaks waren da, manchmal ein paar andere, manchmal dieselben. Wie eine weggeworfene Perlenkette reihten sie sich an der Uferstraße auf. Ich redete nie mit ihnen – wir passten nirgendwohin. Also wäre die Vorstellung, wir würden zueinanderpassen, dumm gewesen. Wir kamen einfach her, blieben eine Weile, dachten nach und fuhren wieder weg.
    Nach Max’ eigenartigem Ausbruch in der Mittagspause wich er mir für den Rest des Tages aus. So fuhr ich nach der Schule zum Freak Lake, um nachzudenken. Die Blätter waren schon längst nicht mehr orangefarben, sondern eher braun, und das Gras am Straßenrand war spröde und tot.
    »Was hat der Killer getan, das er nicht tun musste?«, überlegte ich laut, als ich an einem von der Sonne gewärmten Fleck anhielt und mein Fahrrad in den Staub sinken ließ. In der Nähe standen zwar einige Autos, aber niemand war nahe genug, um mich zu hören. Wir Freaks respektierten unsere Privatsphäre. »Bei der ersten Leiche hat er eine Niere gestohlen, aber was fehlte bei der zweiten?« Die Polizei sagte nichts dazu, aber wir würden den Toten bald in die Leichenhalle bekommen. Ich hob einen Stein auf und warf ihn ins Wasser.
    Das nächste Auto stand ein paar hundert Meter entfernt. Es war weiß und alt, und der Fahrer starrte aufs Wasser.
    »Bist du der Mörder?«, fragte ich leise. An diesem Tag waren fünf oder sechs Leute da, die in großen Abständen an der Straße standen. Wie lange würde es noch dauern, bis sich Moms Prophezeiung bewahrheiten würde und die Einwohner der Stadt sich gegenseitig die Schuld gäben? Die Menschen fürchteten alles, was anders war, und derjenige, der sich am meisten von allen anderen unterschied, würde in der Hexenjagd das große Los ziehen. Würde es einer der Freaks sein, die an den See flüchteten? Was würden sie mit ihm anstellen?
    Alle wussten, dass ich ein Freak war. Würden sie mir die Schuld geben?
     
    Acht Tage später bekamen wir die zweite Leiche herein. Mom und ich hatten uns ein bisschen über meine Soziopathie unterhalten, und ich hatte mir in der Schule Mühe gegeben, um sie von der Fährte abzubringen – sie sollte lieber über meine guten Eigenschaften statt über meine verstörenden Charakterzüge nachdenken. Anscheinend hatte es funktioniert, denn als ich nach der Schule in die Leichenhalle

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