Ich bin kein Serienkiller
Sheriff«, sagte der Reporter, den die Kamera jetzt wieder in Nahaufnahme zeigte. »Falls Sie gerade erst eingeschaltet haben – wir sind im Clayton County, wo soeben ein Mörder zugeschlagen hat, möglicherweise sogar schon zum zweiten Mal. Er hinterließ eine Leiche und versetzte die Stadt in Angst und Schrecken.«
»Dieser dumme Ted Rask!«, schimpfte Mom, während sie zum Kühlschrank ging. »Das Letzte, was diese Stadt braucht, ist eine Panik wegen eines Massenmörders.«
Massenmord und Serienmord sind zwei völlig verschiedene Dinge, aber ich wollte in diesem Moment keine Diskussion darüber vom Zaun brechen.
»Ich glaube, das Letzte, was wir brauchen, sind die Morde«, erwiderte ich vorsichtig. »Panik wegen der Morde wäre das Zweitletzte.«
»In einer Kleinstadt wie dieser ist eine Panik fast genauso schlimm oder sogar noch schlimmer.« Sie goss sich ein Glas Milch ein. »Die Leute bekommen Angst und ziehen weg oder hocken abends hinter verschlossenen Türen zu Hause, und dann geht es den Geschäften schlecht, und die Spannungen nehmen zu.« Sie trank einen Schluck. »Es genügt schon ein engstirniger Mensch, der einen Sündenbock sucht, und schon schlägt die Panik in Selbstjustiz um.«
»Die Leiche können wir Ihnen nicht zeigen«, erklärte Rask im Fernsehen, »denn sie bietet einen grässlichen, unerträglichen Anblick, und die Polizei lässt uns nicht nahe genug heran, doch wir wissen einige Einzelheiten. Anscheinend gibt es keine Zeugen der Mordtat selbst. Einige, die das Opfer aus nächster Nähe gesehen haben, berichten aber, dieser Tatort sei viel blutiger als der letzte. Falls es sich um denselben Mörder handelt, so geht er womöglich zunehmend grausamer vor, was als böses Vorzeichen für die Ereignisse zu deuten wäre, die noch auf uns zukommen mögen.«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass er so was von sich geben darf.« Wütend verschränkte Mom die Arme vor der Brust. »Ich schreibe heute noch einen Brief an den Sender.«
»Neben der Leiche fand man einen Ölfleck oder etwas Ähnliches auf dem Boden«, fuhr Rask fort. »Er könnte vom undichten Motor eines Fluchtfahrzeugs stammen. Wir informieren Sie, sobald wir mehr wissen. Hier ist Ted Rask mit einem Exklusivbericht für Live Five News . Mitten in Amerika geht der Tod um.«
Ich dachte an den Fleck, den ich hinter dem Waschsalon gefunden hatte. Schwarz und ölig wie uralter Dreck war er gewesen. Ob der Ölfleck neben dem neuen Opfer aus dem gleichen Material bestanden hatte? In dieser Geschichte gab es viele im Dunkel liegende Tatsachen, und ich war entschlossen, sie alle ans Licht zu bringen.
»Bei psychologischen Profilen lautet die wichtigste Frage nicht, was der Täter getan hat«, sagte ich und starrte Max an, der sein Essen verdrückte. »Die Frage ist vielmehr, was der Killer getan hat, obwohl er es nicht tun musste.«
»Mann«, antwortete Max, »ich glaube, es ist ein Werwolf.«
»Das ist kein Werwolf«, widersprach ich.
»Du hast doch heute die Nachrichten gesehen, wo es hieß, der Killer habe die Intelligenz eines Menschen und die Wildheit eines Tiers. Was sollte es sonst sein?«
»Es gibt keine Werwölfe.«
»Erzähl das mal Jeb Jolley und dem Toten an der Ausfallstraße«, nuschelte Max. Er biss ab und sprach mit vollem Mund weiter. »Irgendetwas hat sie total zerfetzt, und das war kein freundlicher Serienmörder.«
»Die Legenden über Werwölfe sind wahrscheinlich erst durch Serienmörder entstanden«, widersprach ich. »Das Gleiche gilt für Vampire. In Wahrheit sind es Menschen, die andere Menschen jagen und töten, und das klingt doch sehr nach einem Serienmörder. Früher verstand die Polizei noch nicht so viel von Psychologie, deshalb erfand man irgendein verrücktes Monster, um die Ereignisse zu erklären.«
»Woher weißt du solche Sachen?«
»Von crimelibrary.com «, erwiderte ich. »Aber ich versuche dir gerade etwas zu erklären. Wenn du verstehen willst, was in einem Serienmörder vorgeht, dann musst du fragen: Was hat er getan, das er nicht tun musste?«
»Warum willst du einen Serienmörder verstehen?«
»Was?«, erwiderte ich. »Warum nicht? Na gut, hör zu, wir müssen herausfinden, warum er das tut, was er tut.«
»Nein, müssen wir nicht«, wehrte Max ab. »Dazu ist die Polizei da. Wir sind auf der Highschool und müssen herausfinden, welche Farbe Marcis Büstenhalter hat.«
Warum gab ich mich überhaupt mit diesem Burschen ab?
»Stell es dir folgendermaßen vor«, fuhr ich fort.
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