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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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vom Feuer selbst – kein Licht, keine Wärme, keine winzigen roten Bruchstücke, die aus den Flammen gesprungen sind. Es verschwindet wieder dorthin, woher es gekommen ist, und selbst wenn es fühlen oder sich erinnern könnte, erführen wir nie, was es für uns empfindet und ob es sich an uns erinnert.
    Manchmal, wenn ich in das hellblaue Herz einer tanzenden Flamme blicke, frage ich, ob sie mich wiedererkennt. »Wir sind uns schon einmal begegnet. Wir sind alte Freunde. Vergiss mich nicht, wenn ich fort bin.«
    Mr Crowley, der alte Mann, dessen Laub ich verbrannte, saß gern auf der Veranda und ließ »die Welt vorbeiziehen«, wie er es nannte. Wenn ich sein Grundstück harkte, während er draußen saß, erzählte er mir manchmal von früher. Er hatte fast sein ganzes Leben lang als Ingenieur bei den Stadtwerken gearbeitet, bis er im letzten Jahr krank geworden war und in Rente gehen musste. Er war auch schon ziemlich alt. Heute schlenderte er langsam heraus und legte unter Schmerzen sein Bein auf einen Hocker, als er saß.
    »Guten Tag, John«, sagte er. »Guten Tag.« Er war ein alter, aber großer Mann, stark und mit breiten Schultern. Seine Gesundheit ließ nach, aber schwächlich war er keineswegs.
    »Hi, Mister Crowley.«
    »Du kannst das ruhig liegen lassen.« Er deutete auf die mit Blättern bestreute Wiese. »Es wird noch reichlich Laub fallen, und wenn du es verschiebst, musst du nur einmal aufräumen.«
    »Aber so habe ich länger etwas davon«, erwiderte ich, und er nickte zufrieden.
    »Das ist wahr, John, das ist wahr.«
    Ich harkte noch eine Weile und zog die Blätter mit glatten, ruhigen Strichen zusammen. Der zweite Grund dafür, dass ich mir an diesem Nachmittag sein Grundstück vornahm, war natürlich der, dass der Serienmörder seit einem Monat nicht mehr zugeschlagen hatte. Die Spannung machte mich nervös, und ich musste unbedingt etwas verbrennen. Bisher hatte ich mit niemandem über meinen Verdacht gesprochen, dass es sich um einen Serienmörder handelte, denn wer hätte mir schon geglaubt? Ich war bekanntermaßen von Serienmördern besessen, und natürlich musste für mich auch in diesem Fall ein Serienmörder im Spiel sein. Das machte mir nichts aus. Es spielt keine Rolle, was die anderen denken, wenn man recht hat.
    »He, John, komm doch mal hier rüber.« Mr Crowley winkte mich zu seinem Stuhl. Angesichts der Störung schnitt ich eine Grimasse, beruhigte mich aber sofort wieder und ging zu ihm. Reden war normal – das machen normale Leute öfter. Ich brauchte darin etwas Übung. »Verstehst du was von Handys?«, fragte er und zeigte mir seins.
    »Ein bisschen«, sagte ich.
    »Ich will meiner Frau einen Kuss schicken.«
    »Sie wollen ihr einen Kuss schicken?«
    »Kay und ich haben die Apparate gestern bekommen.« Er fuchtelte ungeschickt mit seinem Handy herum. »Damit können wir angeblich Fotos aufnehmen und uns gegenseitig schicken. Jetzt will ich Kay einen Kuss schicken.«
    »Sie wollen ihr ein Foto von sich schicken, auf dem Sie die Lippen spitzen?« Manchmal verstand ich die Leute einfach nicht. Wenn Mr Crowley über die Liebe sprach, dann kam es mir immer vor, als benutze er eine Fremdsprache. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.
    »Das klingt, als hättest du das schon mal gemacht.« Mit zittriger Hand reichte er mir das Handy. »Zeig mir doch, wie es funktioniert.«
    Der Knopf für die Kamera war deutlich beschriftet, also führte ich es ihm vor, und er machte ein verwackeltes Foto von seinen Lippen. Dann zeigte ich ihm, wie er das Foto verschicken konnte, und begab mich wieder an die Arbeit.
    Die Vorstellung, ich sei ein Soziopath, war mir nicht neu. Mir war schon lange klar, dass ich mich kaum auf andere Menschen einließ. Ich verstand sie nicht, sie verstanden mich nicht, und die emotionale Sprache, die sie sprachen, würde ich wohl nie lernen. Eine antisoziale Persönlichkeitsstörung durfte offiziell erst diagnostiziert werden, wenn man achtzehn war. Vorher hieß es Verhaltensstörung, aber wir wollen ehrlich sein: Eine Verhaltensstörung ist lediglich eine nette Umschreibung für Eltern, die Kinder mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung haben. Ich sah keinen Grund, mich vor den Tatsachen zu drücken. Ich war ein Soziopath, und es war besser, mich umgehend damit abzufinden.
    Ich harkte den Haufen Blätter neben dem Haus in eine große Feuergrube. Im Sommer benutzten die Crowleys die Grube für Lagerfeuer und zum Grillen. Dazu luden sie regelmäßig die ganze

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