Ich bin Legende
Rücken, sein weißes Gesicht blickte starr zum Himmel auf.
Heftig atmend kehrte Robert Neville in die Gruft zurück. Er schloss die Augen und legte die Hände fast zärtlich auf den Sargdeckel.
Ich bin hier, dachte er. Ich bin zurück. Erinnerst du dich an mich?
Er warf die Blumen, die er das letzte Mal gebracht hatte, hinaus und sammelte die paar Blätter ein, die durch den Türspalt hereingeweht worden waren.
Dann setzte er sich neben den Sarg und drückte die Stirn gegen die kalte Metallseite.
Die Stille hüllte ihn in ihre kühle weiche Decke.
Wenn ich jetzt sterben könnte, dachte er sehnsüchtig - friedlich, sanft, ohne Furcht, ohne einen Laut. Wenn ich bei ihr sein dürfte. Wenn ich glauben könnte, dass wir wieder zusammenkämen.
Seine Nägel krallten sich in die Handflächen, sein Kopf sank auf die Brust.
Virginia, hol mich zu dir!
Eine Träne fiel auf seine verkrampfte Hand ...
Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon hier saß. Doch nach einer Weile wurde ihm leichter ums Herz. Die Zeit lindert selbst das tiefste Leid, dachte er, die schlimmste Verzweiflung verliert ihre schneidende Schärfe; gewöhnte nicht sogar der Galeerensklave sich an die allgegenwärtige Peitsche?
Entschlossen richtete er sich auf und erhob sich. Ich lebe immer noch, dachte er, mein Herz schlägt aus reiner Gewohnheit, das Blut fließt durch die Adern, die Muskeln, Sehnen, das Gewebe, alles lebt - so ohne Sinn, ohne jeglichen Zweck mehr.
Einen Augenblick lang blieb er noch stehen und schaute fast andächtig auf den Sarg, dann wandte er sich seufzend ab, ging zur Tür und schloss sie leise hinter sich, um Virginias Schlaf nicht zu stören.
Den Mann hatte er vergessen. Er stolperte fast über ihn. Mit einer unterdrückten Verwünschung ging er um ihn herum.
Abrupt drehte er sich um.
Das gibt es doch nicht! Ungläubig starrte er den Mann an. Er war tot, wirklich tot! Aber wie konnte das möglich sein? Es war so schnell gegangen, doch schon jetzt umgab ihn Leichengeruch, als wäre er bereits seit Tagen tot.
Aufgeregt überschlugen sich Nevilles Gedanken. Etwas hatte den Vampir umgebracht, etwas auf brutale Weise äußerst Wirkungsvolles. Das Herz war unversehrt, kein Knoblauch war in der Nähe, und doch ...
Endlich wurde es Neville klar. Natürlich - das Tageslicht!
Nagende Beschämung folgte. Seit fünf Monaten wusste er, dass sie tagsüber nie ins Freie kamen, doch nicht ein einziges Mal hatte er Folgerungen daraus gezogen! Verärgert über seine geistige Trägheit schloss er die Augen.
Die Sonnenstrahlen, die infraroten und ultravioletten. An ihnen musste es liegen. Aber wieso? Verdammt, weshalb wusste er nichts über die Auswirkung des Sonnenlichts auf den menschlichen Körper?
Noch etwas: Dieser Mann war einer der echten Vampire gewesen, der lebenden Toten. Ob die Sonne die gleiche Wirkung auf die hatte, die noch lebten?
Diese erste wirklich positive Erregung seit Monaten trieb ihn eilig zum Kombi.
Kaum hatte er die Wagentür zugeschlagen, fragte er sich, ob er den Toten nicht lieber hätte fortbringen sollen. Würde die Leiche die anderen anziehen? Würden sie vielleicht in die Gruft einbrechen? Nein, so nahe trauten sie sich gewiss nicht an den Sarg heran - er war mit Knoblauch eingerieben und behangen. Außerdem war das Blut des Mannes bereits geronnen, es ...
Wieder unterbrach er seinen Gedankengang, als er zu einer neuen Folgerung kam: Die Sonnenstrahlen mussten irgendwie auf ihr Blut einwirken!
Hieß das, dass alles irgendwie eine Beziehung zum Blut hatte? Der Knoblauch, das Kreuz, der Spiegel, der Pfahl, das Tageslicht, die Erde, in der manche den Tag verschliefen? Er verstand zwar nicht wie, aber ...
Er musste eine Menge nachlesen, sich über alles genau informieren! Vielleicht war es gerade das, was er brauchte! Schon vor Monaten hatte er es sich vorgenommen, doch in letzter Zeit so gut wie vergessen. Diese neue Idee hatte den Wunsch danach, ja das Bedürfnis, wieder geweckt!
Er fuhr los, raste die Straße hoch, bog in die nächste Wohngegend ab und hielt vor dem ersten Haus an.
Aufgeregt rannte er durch den Vorgarten zur Haustür, doch sie war verschlossen und er hatte keine Möglichkeit, sie aufzubrechen. Vor Ungeduld fluchend lief er zum nächsten Haus. Hier war die Haustür nicht versperrt. Nach einem schnellen Blick durch die Parterrezimmer eilte er die Treppe hoch, zwei Stufen nahm er auf einmal.
Er fand die Frau im verdunkelten Schlafzimmer. Ohne Zögern riss er die Bettdecke zurück
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