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Ich bin Legende

Ich bin Legende

Titel: Ich bin Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Matheson
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betrachtete die Überreste des Gerüsts, die auf dem Rasen verstreut lagen.

    Das Kreuz! Er hielt eines in der Hand. Es glänzte golden in der Morgensonne. Auch das Kreuz vertrieb Vampire.
    Warum? Gab es eine logische Antwort? Etwas, das er akzeptieren konnte, ohne sich aufs Glatteis des Mystizismus begeben zu müssen?
    Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
    Er holte die Frau aus ihrem Bett und machte sich selbst vor, dass er die Frage nicht hörte, die er sich stellte: Weshalb musst du immer an Frauen herumexperimentieren? Er wollte nicht zugeben, dass diese Frage durchaus ihre Berechtigung hatte. Sie war eben die Erstbeste gewesen, auf die er gestoßen war, das war alles. Und der Mann, der im Wohnzimmer geschlafen hatte? Zum Teufel!, fauchte er wortlos. Ich vergewaltige die Frau doch nicht!
    Aber denkst du nicht zumindest daran, Neville?
    Er ignorierte seine innere Stimme und hatte schon fast das Gefühl, als teilte er seinen Körper mit einem Fremden. Früher hätte er diese innere Stimme sein Gewissen genannt. Jetzt fand er, was immer es war, nur lästig. Moral war schließlich mit der Gesellschaft zugrunde gegangen. Er war seine eigene Ethik.
    Da hast du eine gute Ausrede, nicht wahr, Neville?
    Ach, halt den Mund!
    Aber er wollte den Nachmittag lieber nicht in ihrer Nähe verbringen. Nachdem er sie an einen Stuhl gebunden hatte, zog er sich in die Garage zurück und fummelte am Wagen herum. Sie trug ein zerrissenes schwarzes Kleid, das, vor allem wenn sie atmete, üppig viel entblößte. Aus den Augen, aus dem Sinn ... Das stimmte nicht, aber er wollte es sich nicht eingestehen.
    Barmherzig kam endlich die Nacht. Er sperrte die Garage zu, kehrte ins Haus zurück, verschloss die Haustür und legte auch den großen Sperrbalken vor. Dann mixte er sich einen Drink und setzte sich auf die Couch, der Frau gegenüber.
    Das Kreuz hing von der Decke direkt vor ihrem Gesicht.
    Um achtzehn Uhr dreißig öffneten sich ihre Augen mit der Plötzlichkeit eines Schläfers, der weiß, dass er sofort beim Erwachen etwas Dringendes tun muss und hellwach ist.
    Als ihr Blick auf das Kreuz fiel, wandte sie röchelnd die Augen ab und wand sich in ihren Stricken.
    »Weshalb fürchtest du dich davor?«, fragte er und erschrak über seine eigene Stimme, die er so lange nicht mehr gehört hatte.
    Ihre Augen, die plötzlich auf ihm ruhten, ließen ihn erschaudern. Wie sie glühten! Wie ihre Zunge über die roten Lippen fuhr, als hätte sie ein eigenes Leben! Wie sie sich spannte, als wollte sie ihn anspringen! Ein grollendes Knurren, wie das eines Hundes, der einen Knochen verteidigt, drang aus ihrer Kehle.
    »Das Kreuz«, sagte er nervös. »Warum fürchtest du dich davor?«
    Sie kämpfte gegen ihre Fesseln an, ihre Nägel kratzten über das Holz des Stuhls. Kein Wort kam über ihre Lippen, nur heftiger, keuchender Atem. Ihr Körper wand sich. Brennend waren ihre Augen auf die seinen gerichtet.
    »Das Kreuz!«, rief er wütend.
    Er war aufgesprungen. Das Glas rutschte ihm aus den Fingern und sein Inhalt ergoss sich über den Teppich. Er griff nach der Schnur und ließ das Kreuz vor ihren Augen hin und her baumeln. Mit verängstigtem Knurren warf sie den Kopf nach hinten und wich auf dem Stuhl aus, so weit sie konnte.
    »Schau es an!« , brüllte er.
    Ein grauenvolles Wimmern kam über ihre Lippen. Ihre Augen rollten wild herum, große weiße Augen, mit Pupillen so schwarz wie die Nacht.
    Er packte sie an der Schulter, riss die Hand jedoch schnell zurück. Blut sickerte aus einer schmerzenden Bisswunde.
    Seine Bauchmuskeln strafften sich. Wieder schoss seine Hand vor, doch diesmal, um ihr auf die Wange zu schlagen, dass ihr Kopf zur Seite flog.
    Zehn Minuten später warf er sie zur Haustür hinaus und schlug die Tür vor ihren Nasen zu. Dann lehnte er sich keuchend an die Wand. Schwach hörte er durch die Schallisolierung, wie sie brüllend und heulend, Schakalen gleich, über die unerwartete Beute herfielen.
    Nach einer Weile ging er ins Badezimmer und goss Alkohol auf die offenen Bisswunden. Fast genoss er den brennenden Schmerz.

8
    Neville bückte sich und hob eine Handvoll Erde auf. Er ließ sie durch die Finger rieseln und zerkrümelte die größeren Brocken. Wie viele von ihnen, fragte er sich, schlafen im Erdboden, wie es der Legende nach der Fall sein soll?
    Er schüttelte den Kopf. Herzlich wenige.
    Inwieweit entsprach die Legende dann der Wirklichkeit?
    Er schloss die Augen und wischte sich die Hand ab. Wie konnte er

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