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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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Arabisch, und er liebte Wörter über alles. Er las seinem Sohn die großartigen Gedichte von Saadi, Allama Iqbal und Rumi mit solcher Inbrunst und Glut vor, dass es war, als würde er die ganze Moschee unterweisen.
    Mein Vater sehnte sich danach, so eloquent zu sein wie sein Vater, mit einer Stimme, die dröhnte, die nicht stotterte. Er wusste, mein Großvater wünschte sich verzweifelt, dass mein Vater Arzt wurde, aber obwohl er sich als ein sehr kluger Schüler und ein begabter Dichter herausstellte, war er schlecht in Mathe und Naturwissenschaften und hatte aus diesem Grund das Gefühl, ein Versager zu sein.
    Deshalb beschloss er, dass sein Vater stolz auf ihn sein sollte, indem er am jährlich und öffentlich stattfindenden Redewettbewerb des Bezirks teilnahm. Alle hielten ihn für verrückt. Lehrer und Freunde versuchten, es ihm auszureden, und sein Vater zögerte, die Rede für ihn zu schreiben. Doch am Ende entwarf er ihm eine, die gut war und die mein Vater übte und übte. Wort für Wort lernte er sie auswendig, während er in den Bergen wanderte und sie dem Himmel und den Vögeln vortrug, weil er zu Hause nicht ungestört sein konnte.
    Es gab wenig Abwechslung in der Gegend, in der er lebte, und als der Tag kam, fand sich eine große Menschenmenge ein. Jungen, die als gute Redner bekannt waren, trugen ihre Reden vor. Schließlich wurde mein Vater aufgerufen. »Ich stand am Pult«, sagte er, »mit zitternden Händen und wackeligen Knien, und ich war so klein, dass ich kaum darüberschauen konnte. In diesem Moment hatte ich solche Angst, dass die Gesichter vor mir verschwammen. Meine Handflächen waren schweißnass, und mein Mund war trocken wie Papier.«
    Verzweifelt versuchte er, nicht an die tückischen Konsonanten zu denken, über die er straucheln könnte, wenn sie ihm im Hals steckenblieben. Als er aber sprach, schwebten die Wörter durch den Saal wie schöne Schmetterlinge. Seine Stimme dröhnte nicht wie die seines Vaters, aber seine Leidenschaft schimmerte durch, und mit jedem weiteren Wort wuchs sein Selbstvertrauen.
    Am Schluss der Rede gab es Hochrufe und Applaus. Als er den Pokal für den ersten Preis entgegennahm, sah er, wie sein Vater klatschte und sich genüsslich von den Umstehenden auf den Rücken klopfen ließ. »Ich hatte«, erzählte er, »das erste Mal etwas getan, das ihn zum Lächeln brachte.«
    Danach nahm mein Vater an jedem Wettbewerb im Bezirk teil. Mein Großvater schrieb ihm die Reden, und mein Vater gewann fast jedes Mal den ersten Preis. In unserer Gegend erwarb er sich einen Ruf als beeindruckender Redner. Er hatte seine Schwäche in eine Stärke verwandelt.
    Von nun an lobte mein Großvater ihn in Gegenwart anderer. Er prahlte: »Zinauddin ist ein
shaheen
«, das bedeutet Falke, weil dieser hoch über anderen Geschöpfen fliegt.
    »Du schreibst dich jetzt Ziauddin Shaheen«, sagte er zu seinem Sohn.
    Das tat mein Vater eine Zeitlang, doch später ließ er diesen Namen fallen, weil ihm klarwurde, dass ein Falke wohl hoch fliegt, aber an sich ein grausamer Vogel ist. Er nannte sich einfach wieder Ziauddin Yousafzai – nach unserem Stammesnamen.

3
    In einer Schule aufwachsen
    M eine Mutter kam mit sechs Jahren in die Schule und hörte noch im selben Halbjahr wieder auf. Sie war eine Ausnahme im Dorf, weil sie einen Vater und Brüder hatte, die sie zur Schule gehen ließen. Sie trug ihre Schultasche stolz zum Unterricht und behauptete, sie sei klüger als die Jungen. Doch jeden Tag ließ sie ihre Kusinen, die zu Hause spielen durften, zurück und beneidete sie. Es erschien ihr sinnlos, zur Schule zu gehen, um am Ende zu kochen, zu putzen und Kinder großzuziehen. Deshalb verkaufte sie eines Tages ihre Bücher für neun Anna, kaufte sich Bonbons für das Geld und ging nie wieder hin. Ihr Vater sagte nichts. Sie sagt, er hatte es gar nicht gemerkt, weil er jeden Morgen nach einem Frühstück aus Maisbrot und Rahm aus dem Haus ging, seine deutsche Pistole unter den Arm geschnallt, und den Tag mit Lokalpolitik oder der Schlichtung von Fehden verbrachte. Zudem hatte er an sieben weitere Kinder zu denken.
    Erst als sie meinen Vater kennenlernte, fühlte meine Mutter Bedauern. Da war ein Mann, der so viele Bücher gelesen hatte, der für sie Gedichte schrieb, die sie nicht lesen konnte, und dessen Ehrgeiz es war, eine eigene Schule zu haben. Als seine Frau wollte sie ihm helfen, dieses Ziel zu erreichen. Solange mein Vater zurückdenken konnte, war es sein Traum gewesen, eine

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