Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
dass er sich wegen seines Aussehens unwohl fühlte, weil die Lehrer in der Schule die hübscheren Jungen wegen ihrer hellen Haut immer bevorzugten. Seine Vettern hielten meinen Vater auf dem Heimweg nach der Schule auf und hänselten ihn, weil er klein und dunkelhäutig war. In unserer Gesellschaft muss man sich für solche Kränkungen rächen, doch mein Vater war viel kleiner als seine Vettern.
Er hatte das Gefühl, nie genug dafür tun zu können, um Großvaters Anerkennung zu erringen.
Baba
hat eine wunderschöne Handschrift. Mein Vater brachte Stunden damit zu, in Schönschrift Briefe zu schreiben, doch
Baba
lobte ihn kein einziges Mal.
Meine Großmutter hielt ihn bei Laune – er war ihr Liebling, und sie war überzeugt, dass er es weit bringen würde. Sie liebte ihn so sehr, dass sie ihm extra Fleisch zusteckte und ihm den Rahm der Milch gab. Aber lernen war nicht einfach, denn damals gab es im Dorf keinen elektrischen Strom. Er las im Schein der Öllampe im Gästehaus, und eines Abends schlief er dabei ein. Die Lampe war umgefallen, aber zum Glück hat meine Großmutter ihn gefunden, bevor ein Feuer ausbrach. Das Vertrauen, das meine Großmutter in meinen Vater setzte, gab ihm den Mut, seinen Weg zu finden, einen stolzen Weg. Das ist der Weg, den er mir später weisen sollte.
Aber sogar sie wurde einmal wütend auf ihn. Damals pflegten heilige Männer aus Derai Saydan in die Dörfer zu kommen und um Mehl zu betteln. Als seine Eltern einmal nicht zu Hause waren, traten einige solcher
sayyids
ins Haus ein. Mein Vater brach die Vorratskiste mit Maiskörnern auf und füllte ihre Schalen. Als meine Großeltern zurückkehrten, sind sie wütend geworden und haben ihn verprügelt.
Die Paschtunen sind für ihre Sparsamkeit berühmt (aber großzügig zu Gästen), aber
Baba
war besonders knauserig mit Geld. Wenn eins seiner Kinder aus Unachtsamkeit Essen verschüttete, bekam er einen Tobsuchtsanfall. Er war sehr ordentlich und konnte nicht verstehen, warum sie nicht auch so waren.
Als Lehrer hatte er Anspruch auf einen kleinen Nachlass auf die Schulgebühren für Sport und für die Pfadfinder. Dieser Nachlass war so gering, dass die meisten Lehrer sich nicht die Mühe machten, ihn zu beantragen. Mein Großvater aber zwang seinen Sohn, die Ermäßigung zu beantragen. Mein Vater hat das natürlich gehasst. Wenn er vor dem Büro des Direktors wartete, bekam er einen Schweißausbruch. Sobald er im Büro war, stotterte er schlimmer denn je. »Ich hatte das Gefühl, für sechs Rupien meine Ehre aufs Spiel zu setzen«, erzählte er mir. »Und der Direktor hatte etwas gegen meinen Vater, deshalb hat er mich erst recht drangsaliert.«
Mein Großvater kaufte seinem Sohn nie neue Bücher. Vielmehr wies er seine besten Schüler an, ihre alten Bücher am Ende des Schuljahrs meinem Vater zu überlassen. Dann schickte er ihn zu ihnen nach Hause, um die Bücher abzuholen, und er stotterte wieder, wenn er danach fragte. Er schämte sich, aber er hatte keine andere Wahl, wenn er nicht ungebildet bleiben wollte. In all seinen Büchern standen die Namen anderer Jungen, nie sein eigener.
»Das Weitergeben von Büchern ist an sich nichts Schlimmes«, bemerkte er dazu, »ich hatte mir einfach nur so sehr ein neues Buch gewünscht, ohne Spuren von einem anderen Schüler und gekauft vom Geld meines Vaters.«
Durch seine Abneigung gegen
Babas
Sparsamkeit ist mein Vater ein großzügiger Mensch geworden, sowohl materiell als auch im Denken. Und er war fest entschlossen, die Rivalität zwischen den Verwandten zu beenden. Als die Frau des Direktors krank wurde, spendete mein Vater Blut, um sie zu retten. Der Ehemann hatte sich, verblüfft, wie er war, bei ihm dafür entschuldigt, dass er ihn gequält hatte.
Wenn mein Vater mir Geschichten aus seiner Kindheit erzählt, betont er immer, dass
Baba
, obwohl er schwierig war, ihm das allerwichtigste Geschenk gemacht hat – das Geschenk der Bildung. Er hat meinen Vater auf die staatliche Oberschule und nicht in eine Madrasa geschickt, damit er Englisch lernte und eine moderne Erziehung genoss, obwohl man ihn als Imam dafür tadelte.
Er gab ihm auch eine tiefe Liebe zum Lernen und Wissen mit sowie ein starkes Bewusstsein für Gerechtigkeit und Diskriminierungen, das mein Vater wiederum an mich weitergegeben hat. In
Babas
Freitagspredigten sprach mein Großvater über die Armen und die feudalen Landbesitzer, darüber, dass der wahre Islam gegen Feudalismus ist. Er beherrschte Persisch und
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