Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
schimpfte er. »Warum erledigt ihr nicht eure eigentliche Arbeit und macht endlich Herrn Fazlullah ausfindig und all die anderen, deren Hände rot vom Blut des Swat sind?«
Während des Ramadan-Monats schickte Wakeel Khan, ein Freund meines Vaters aus Karachi, Kleidung für die Armen. Er wollte, dass wir sie verteilten. Also gingen wir in eine große Halle, um die Sachen auszugeben. Noch bevor wir angefangen hatten, erschienen Geheimdienstagenten und fragten: »Was treibt ihr da? Wo kommen diese Sachen her?«
Am 12 . Juli wurde ich 14, was im Islam bedeutet, dass man erwachsen ist. An meinem Geburtstag erreichte uns die Nachricht, dass die Taliban den Besitzer des Swat Continental Hotel getötet hatten. Wie mein Vater war er ein Friedensaktivist gewesen. Er ging gerade am Mingora-Basar vorbei – er war auf dem Weg nach Hause –, als sie ihn aus ihrem Versteck in den Feldern erschossen.
Einmal mehr fürchteten die Menschen, die Taliban würden zurückkehren. Waren aber 2008 und 2009 die Drohungen noch gegen sämtliche Bewohner des Swat gerichtet, zielten die neuen Angriffe vor allem auf jene, die sich gegen die militanten Kämpfer aussprachen und gegen die Armee.
»Die Taliban sind keine organisierte Bewegung, wie wir uns das vorstellen«, meinte Hidayatullah, der Freund meines Vaters, als sie über diese Dinge sprachen. »Es handelt sich vielmehr um eine bestimmte Geisteshaltung, und die ist in ganz Pakistan verbreitet. Wer gegen Amerika ist, gegen das pakistanische Establishment und das englische Recht, der ist vom Taliban-Virus infiziert.«
Am 3 . August erhielt mein Vater spätabends einen alarmierenden Anruf von einem Geo- TV -Korrespondenten. Der Mann hieß Mehbub und war der Neffe von Zahid Khan, ebenfalls ein Freund meines Vaters. Der Hotelbesitzer war 2009 angeschossen worden.
Zu jener Zeit hieß es, die Taliban hätten sowohl Zahid Khan als auch Ziauddin im Visier und würden beide ermorden. Unklar sei nur, wen es zuerst treffen würde.
Mehbub erzählte uns, sein Onkel sei gerade auf dem Weg zum Isha-Gebet, dem abendlichen Gebet, zur Moschee gewesen, die sich in einer Straße unweit seines Hauses befinde, als man ihm ins Gesicht geschossen habe.
Bei der Nachricht vom Attentat auf Zahid Khan hatte mein Vater das Gefühl, der Boden würde sich unter seinen Füßen auftun. »Es war, als wäre ich selbst angeschossen worden«, sagte er. »Ich war mir sicher, dass ich als Nächster dran sein würde.«
Wir flehten meinen Vater damals an, nicht ins Krankenhaus zu gehen. Es war schon sehr spät, und die Leute, die auf Zahid Khan gezielt hatten, lauerten vielleicht auf ihn. Doch er sagte, nicht hinzugehen wäre feige. Einige seiner politischen Mitstreiter boten an, ihn zu begleiten, doch er meinte, es würde zu spät werden, wenn er auf sie wartete. Also rief er meinen Vetter an und bat diesen, ihn hinzufahren. Meine Mutter begann sofort zu beten.
Als er im Krankenhaus ankam, war nur ein Mitglied der Ältestenversammlung da. Zahid Khan blutete so stark, dass sein weißer Bart ganz rot war. Aber er hatte Glück gehabt. Ein Mann hatte aus nächster Entfernung dreimal mit einer Neun -Millimeter-Pistole auf ihn gefeuert, doch Zahid Khan war es gelungen, dessen Hand zu fassen, so dass nur die erste Kugel traf. Seltsamerweise drang sie in den Nacken ein und trat durch die Nase wieder aus.
Später erzählte er, er habe nur einen sauber rasierten, kleinen Mann gesehen, der lächelnd dastand. Er trug nicht einmal eine Maske. Dann habe ihn, Zahid Khan, die Dunkelheit umschlossen, als ob er in ein schwarzes Loch gefallen sei.
Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an, dass Zahid Khan erst seit kurzem wieder in die Moschee ging, weil er dachte, es sei nun wieder sicher.
Nachdem er für seinen Freund gebetet hatte, sprach mein Vater mit Journalisten. »Wir verstehen nicht, wieso er angegriffen wurde, wenn wir doch angeblich Frieden haben«, sagte er. »Dieser Frage müssen sich Armee und Behörden stellen.«
Man riet ihm, im Krankenhaus zu bleiben. »Ziauddin, es ist Mitternacht! Sei nicht dumm! Du bist genauso angreifbar, genauso eine Zielscheibe wie er. Geh nicht noch mehr Risiken ein!«
Schließlich brachte man Zahid Khan nach Peshawar, wo er operiert werden sollte, und mein Vater verließ das Krankenhaus, um nach Hause zurückzukehren. Ich war noch nicht zu Bett gegangen, weil ich mir Sorgen machte. Danach habe ich angefangen, die Schlösser abends noch genauer zu überprüfen. In dieser Nacht stand
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